Jedem Kind ein Buch

Leseförderung Ein Berliner Bücherprojekt will Kindern das Lesen näher bringen

Der „Berliner Büchertisch“ steht in einem Hinterhof in Berlin-Kreuzberg. Es ist ein sozialer Buchladen, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Lesen allen Kindern zugänglich zu machen. Gerade auch jenen, für die es nicht selbstverständlich ist. „In unseren Läden verfolgen wir das Konzept: Ein Buch pro Kind am Tag“, erklärt Cornelia Temesvári, Vorstandsmitglied des Büchertisches, der genossenschaftlich organisiert ist und von privaten Bücherspenden und Verlagen lebt. 100.000 Stück wechseln durch die Vermittlung des Büchertisches jedes Jahr ihreN BesitzerIn – und zwar zu Flohmarktpreisen.

Jedes Kind darf sich ein Buch pro Tag kostenlos mitnehmen, ein Ausweis sozialer Bedürftigkeit ist nicht nötig. „Sagen zu müssen: Meine Eltern beziehen Hartz IV, das kann eine sehr deprimierende Erfahrung für Kinder sein“, ist sich Temesvári bewusst. Deshalb versucht das Projekt, die Hemmschwelle möglichst niedrig zu halten: „Es sollen keine Kosten entstehen wie beispielsweise in der Bibliothek, wenn man das Buch zu spät zurückbringt.“

Cornelia Temesvári und ihr Team arbeiten eng mit Schulen zusammen, engagierte LehrerInnen sind wichtige VermittlerInnen für das Bücherprojekt. Denn oft wissen LehrerInnen am besten, wo es hapert. Deutsche GrundschülerInnen liegen bei der Lesekompetenz im internationalen Vergleich im oberen Drittel, hat die internationale Lesestudie PIRLS - in Deutschland IGLU genannt - zuletzt 2011 erhoben. Die meisten Kinder lernen in der Schule also ausreichend, wie man Informationen aus Texten erhält, Schlussfolgerungen daraus zieht. Trotzdem gehen einige Kinder im Unterricht unter, so unglaublich es klingt: Sie lernen nicht richtig lesen.

Diesen Kindern mangelt es vor allem an der Kompetenz, Zusammenhänge herzustellen und Informationen in Beziehung zu setzen – sie sind nicht vertraut mit dem Lesen. In der Folge sind sie bei der gesellschaftlichen Teilhabe eingeschränkt. Sie wohnen in Berlin vor allem in den Randbezirken - in Marzahn, Spandau oder weit draußen in Neukölln.

Das haben auch die Verantwortlichen beim Berliner Büchertisch gemerkt. „Es gibt Leute, die machen sich zu Fuß eine Stunde auf den Weg zu uns, weil sie sich das U-Bahn-Ticket nicht leisten können. Wenn sie wieder gehen, haben sie ihren monatlichen Buchkauf erledigt“, erzählt Temesvári.

Kinder haben diese Möglichkeit nicht immer. Aber auch denen möchte Ronja Stang, die beim Büchertisch für Leseförderung zuständig ist, eine Perspektive bieten: „Die Bücher sollen zu den Kindern nach Hause kommen.“ Deshalb vergibt der Verein nun schon im zweiten Jahr Lesestipendien an Berliner Kinder. „Sie bekommen einmal pro Monat ein Buch von uns geschickt. Es ist wichtig, dass Lesen zu einer gewohnten Beschäftigungsform wird“, sagt Stang.

Bücher sollen als zum eigenen Leben zugehörig empfunden werden, Lesen zur Normalität werden. Die große Nachfrage gibt Stang und ihren KollegInnen Recht: Die Zahl der Stipendien konnte von 35 auf 70 verdoppelt werden. Und das Lager des Büchertisches platzt aus allen Nähten. Vanessa Gaigg