HAMBURGER SZENE VON MAXIMILIAN PROBST
: Das nötige Kleingeld

Er sah die Mappe so inbrünstig Blatt für Blatt an, dass er manchmal zur Erholung in seinen Muffin beißen musste

Bemerkenswert an der nicht mehr jungen Frau am Nachbartisch waren ihre Fingernägel: leicht zerkaut, lang und weiß lackiert, erinnerten sie an heruntergespielte Klaviertasten. Der Mann neben ihr trumpfte mit einem penibel gepflegten Backenbart, der als schmaler Streifen sein Gesicht wie eine Todesanzeige rahmte.

Sie hatte ihm eine Mappe auf den Stehtisch der Bäckerei gelegt, eine Künstlermappe, die er Blatt für Blatt durchsah, so inbrünstig, dass er manchmal zur Erholung in seinen Muffin beißen musste und sich die Krümel mit dem Handrücken um den Mund rieb.

„Diese Farben!“, sagte er. „Und solche Formen!“ – „Das sind umgekehrte Spiegelungen“, verriet sie ihm. „Doll“, mampfte er, schluckte, und fügte hinzu: „Ich kann dazu nur sagen: Das passt.“

Da neigte sie leicht das Haupt und dankte für seine kaffeewarmen Worte.

Und sprach, in sich gekehrt, mehr zu sich selbst oder zu einem unsichtbaren Dritten: „So ähnlich haben mir das schon viele gesagt. Aber anerkannt, so richtig anerkannt – bin ich trotzdem nicht. Denn wer Erfolg haben will in der Kunst“, sagte sie und wiegte leicht den Kopf, „der muss dafür auch das nötige Kleingeld mitbringen. Schon um in die Medien reinzukommen.“ – Na, na, wenn das nicht mal wiederlegt ist, jetzt. An Ort und Stelle!