Gute Weine, böse Weine

Editorial

Jahr für Jahr dasselbe Tamtam: Noch bevor alle Trauben geerntet sind, beginnen Winzer und Weinbauverbände ihre Marketing-Offensive. Jedes Jahr wird ein „herausragender Jahrgang“ angekündigt, ein fades Ritual.

Die Realität ist eine ganz andere. Viel brennender nämlich stellt sich die Frage, wie lange es überhaupt noch Jahrgangsunterschiede geben wird. Weine aus Südafrika, Australien, Chile oder Kalifornien schmecken oft jedes Jahr gleich. Der Grund dafür ist nicht nur die klimatische Stabilität in diesen Regionen, sondern vor allem die tabulose Praxis von High-Tech-Verfahren bei der Weinproduktion. Jahrgangsunterschiede werden so nivelliert. Und damit auch die Vielfalt der Weinkultur.

Ob Färben, Panschen oder Aromatisieren – diese neuen Weinbereitungsmethoden werden bald auch in Europa legale Praxis sein. Es grüßt die Cuvée Frankenstein. Längst hat die Globalisierung den Weinmarkt erreicht. Fachhandelsgeschäfte halten nur noch einen Marktanteil von unter vier Prozent. Zudem ist die Preispolitik paradox. Ein Moselriesling, der mit Handarbeit in einer Schwindel erregenden Steillage von einem Weltklassewinzer gehätschelt wurde, kostet inzwischen gleich viel wie etwa ein Markenwein aus dem Supermarkt. Letzterer wird nach Marketingkonzepten entwickelt, auf Zielgruppen geschmacklich zugeschnitten. Das hat Einfluss auf den Weingeschmack: Es droht der Sieg des kleinsten gemeinsamen Nenners.

Doch wer Winzerweine als Gegenbewegung zur Industrie stilisiert, läuft leicht Gefahr, in ideologische Fallen zu tappen: Hier die guten kleinen Weinhandwerker, dort die böse Weinindustrie – diese Sicht ist so verführerisch wie einfach. Denn die neuen Weinmethoden werden nicht nur von Großbetrieben, sondern auch von kleinen Spitzenwinzern angewandt. Resultat sind High-Tech-Weine, die gern als Naturprodukte verkauft werden. Da diese Methoden noch nicht auf dem Weinetikett deklariert werden müssen, stellt sich die Frage, ob der Branche demnächst die Entzauberung droht.

Unterdessen hat sich Bio für viele Spitzenwinzer als Weg zu hochwertigen Weinen etabliert – mit Anbau- und Verarbeitungsmethoden, die an die vorindustrielle Zeit des Weinbaus anknüpfen. Der Aufwand ist hoch und hat seinen Preis. Handwerklich hergestellte Bioweine können daher nicht billig sein. Doch die kuscheligen Zeiten in der Nische sind vorüber. Viele Discounter bieten im Verein mit Bio-Supermärkten ausdruckslose Massenweine mit Bio-Siegel an, die sich von konventionellen Billigweinen geschmacklich nicht unterscheiden. Dabei geraten die Billigerzeuger wie echte Bio-Produzenten in einen brutalen Preisdruck. Und wir Konsumenten stellen die Weichen, wie es weitergeht. TILL EHRLICH