Kein Grund zu kusche(l)n

Landtagswahlen In Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt zieht die AfD in die Landtage ein. Auf dem Koalitionskarussell geht es rund

AfD-Anhänger am Wahlsonntag in Magdeburg, Sachsen-Anhalt Foto: dpa

Glück gehabt

betr.: „Ein Votum für Merkels Kurs“, taz vom 15. 3. 16

Ein Votum für Merkels Kurs ist für mich durch den Wahlausgang nicht erkennbar. Wer bei 15 Prozent AfD, wie in Baden-Württemberg, den Umkehrschluss zieht, dass 85 Prozent hinter der Flüchtlingspolitik Merkels stehen, macht es sich zu leicht. Man muss sich nur die Wahlanalyse in der ARD anschauen, um zu erkennen, dass diese Rechnung so nicht aufgeht.

Dort zeigt sich, dass die Hälfte der Leute auch im Westen Kernpunkte der AfD teilen. Merkel hat noch Glück gehabt, dass der Flüchtlingsstrom in den Wochen vor den Wahlen deutlich abgenommen hat. Hätte der unkontrollierte Zuzug von Flüchtlingen im März wieder Fahrt aufgenommen, wären die Stimmenanteile für die AfD in allen drei Bundesländern wahrscheinlich noch weitaus höher ausgefallen.

Im Übrigen hat auch die zur Flüchtlingspolitik der Regierung kritisch stehende FDP bei den Wahlen gepunktet. Der Erfolg von Dreyer und Kretschmann geht wohl weniger auf deren Grundhaltung in der Flüchtlingspolitik zurück als vielmehr auf das ambivalente Auftreten der CDU-Herausforderer. Das Wahlvolk hat noch nie Kandidaten belohnt, die sich nicht eindeutig positionieren. Ein klares Profil bei diesem aufgeheizten Thema, entweder so oder so, wäre wahllkampftaktisch geboten gewesen.

HARTMUT GRAF, Hamburg

Selbstkritik

betr.: „Non, je ne regrette rien“,taz vom 17. 3. 16

Wenn Martin Reeh der Kanzlerin den Satz von Michel Vaucaire in den Mund legt, widerlegt er sich selbst, denn Vaucaires Spatz von Paris besang in den 60ern eine Person, die sich ihrer Fehler bewusst ist, aber jeden einzelnen faux pas ihres Lebens noch einmal begehen würde. Und das ist doch wohl pure und aufrichtige Selbstkritik.

Richtig ist: Die Kanzlerin macht Fehler. Aber andere tun gar nichts. Und im Übrigen möchte man der taz-Redaktion ihr eigenes Blatt um die Ohren schlagen: Als Merkels „Wir schaffen das“ gefallen war, besang die gesamte Schreiberelite der Rudi-Dutschke-Straße tagelang die Kanzlerin und wollte sie schier heiligsprechen. Schon vergessen?

HEINZ MUNDSCHAU,, Aachen

Eine Illusion

betr.: „Verantwortung statt Welt­ethos“, taz vom 15. 3. 16

Lieber Peter Unfried, es ist nicht die Frage nach Ethos oder Moral oder Verantwortung, sondern nach Verantwortung, die nicht vergisst, dass die sogenannte Realität, von der grüne Realos reden, die Realität ist, in der man nicht mehr vom Sofa aufstehen muss, um für seine Inhalte zu kämpfen. 250.000 Menschen auf der Straße haben die verlängerte Atomkraft von Kanzlerin Merkel beendet, 25.000 Dresdner die offene Republik. Man kann Dinge auch von anderen Plätzen als der Regierungsbank ändern und muss dabei nicht mit TTIP-Befürwortern, Rassisten, Asylgegnern, Antifeministen und „Demo-für-Alle“-Befürwortern kuscheln – ein kleiner Auszug christdemokratischer Kompetenz.

Und noch eine Illusion, die Realität genannt wird: 30 Prozent sind keine breite Mitte, das sind noch nicht einmal ein Drittel der Wähler_innen. Das grün-rote Lager hat 4 Prozent verloren. Ich weiß bis heute nicht, warum jeder behauptet, die Grünen hätten über die meisten Stimmen hinaus gewonnen. Kretschmann hätte demnach die sicheren Herkunftsländer verhindern können.

JÖRG RUPP, Malsch

Ratlosigkeit

betr.: „Bitte keine Kandidatendebatte“, taz vom 15. 3. 16

Sigmar Gabriel ist die personifizierte Ratlosigkeit . Seine Partei verliert Stimmen am unteren Rand der Gesellschaft. Im Osten hatte er sowieso kaum ein Standing bei einer (noch) wirtschaftsgläubigen Klientel, zu süß waren die Versprechungen des Helmut Kohl in Verbindung mit der Einführung der D-Mark. Jetzt melden sich hier die Jahrgänge mit den stark lädierten Berufsbiographien (die im Übrigen zu Honeckers Zeiten auch schon ihre Probleme mit den Gastarbeitern aus der mit der SED befreundeten Dritten Welt hatten). Was kann der Wirtschaftsminister den Beschäftigten im Braunkohletagebau denn anbieten? Als Umwelt- und Energieminister weiß er doch genau, dass dieser aus klimapolitischen , aber auch rein ökonomischen Gründen keine Perspektive mehr bieten darf.

Arm dran sind auch die Stuttgarter, die im Feinstaub ersticken. Ich habe Winfried Kretschmann am 11. Juni 2015 auf einem Wirtschaftskongress der Grünen erlebt, wie er (fortschrittsbesoffen, er kam gerade aus dem Silicon Valley zurück) die baden-württembergische Autoindustrie über den grünen Klee lobte in ihrer Innovationsfähigkeit. Heute kennen wir das Märchen von den umweltfreundlichen Dieselmotoren. Niemand fragt, wo die Parkplätze entstehen, auf denen die vielen Autos (meistens nur) herumstehen sollen, und wer sie kaufen kann, wenn sie nach Industrie.4 von Automaten erstellt werden.

Keine Partei bietet ihren Wählern eine dauerhafte und auskömmliche Beschäftigung (mehr) an. Bloß nicht drüber reden!

DIETMAR RAUTER, Kronshagen

Kanzlerfrage stellen

betr.: „Bitte keine Kandidatendebatte“, taz vom 15. 3. 16

Die SPD sollte in der Tat nicht in eine Debatte über die Kandidaten einsteigen. Sondern sie muss die Kanzlerfrage stellen.

Die Sollbruchstelle ist die Sozialpolitik: Nahles’ Leiharbeits-Gesetz, Hendricks’ Programm für den sozialen Wohnungsbau und Gabriels allgemein gehaltener Ruf nach einer sozialpolitischen Offensive können den Ausgangspunkt bilden für eine Abkehr von der derzeitigen radikalen neoliberalen Austeritätspolitik. Der Zeitpunkt ist die Diskussion zum Haushalt 2017. Noch bilden SPD, Linke und Grüne die rechnerische Mehrheit im Bundestag für ein konstruktives Misstrauensvotum und eine Wahl von Steinmeier oder Maas zum Kanzler. Gibt es keinen Regierungswechsel vor den nächsten Bundestagswahlen, wird es langfristig keine Chance für einen Politikwechsel geben.

MICHAEL ROTHSCHUH, Hamburg

Festhalten

betr.: „Auch wenn wir so verlieren“, taz.de vom 17. 3. 16

Ich bin nach wie vor der Meinung dass die Linke das tut, wovon andere Parteien abgewichen sind: das konsequente Festhalten an den eigenen Zielen und Programmen.

SEAN DAVID, taz.de

Schiefe Perspektive

betr.: „Auch wenn wir so verlieren“, taz.de vom 17. 3. 16

Sorry, aber so ein Unsinn: „Die Linkspartei ist auch an ihrem Pro-Asyl-Kurs gescheitert.“ Sie hat zwar damit Wahlen verloren, aber das ist doch kein „Scheitern“.

In einer solchen schiefen Perspektive „scheitern“ in vielen Staaten dieser Erde Menschenrechtler(innen), weil sie den Menschenrechten nicht zum Durchbruch verhelfen können. REBLEK, taz.de