Das Bild der Zerstörung, wie hier in Aleppo, ist überall das gleiche: „Fotos, die Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg zeigen, fühlen sich an, als hätte ich sie schon gesehen“, sagt der Syrer Khalid Abdulhamid Foto: F.: Tyler Hicks/NYT/Redux/laif

Die zweite Stunde null

Flucht Es begann mit einer Revolution und mündete in einen grausamen
Krieg. Am 17. März 2011 gab es bei Bevölkerungs-protesten gegen die Regierung in Syrien die ersten Toten. Die Flüchtlinge, die zuerst nach Deutschland flohen, waren Oppositio-nelle, später kamen auch unpolitische Menschen und Anhänger des Assad-Regimes. Wie leben sie heute in Berlin? Ein Syrer erzählt

Von Khalid Abdulhamid

„Kriege sind sich im Ergebnis ähnlich. Das wurde mir klar, als ich eine Ausstellung im Berliner Stadtmuseum besuchte: Fotos, die Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg zeigten. Die Bilder überraschten mich nicht, es fühlte sich an, als hätte ich sie schon gesehen. Ich begegne ihnen täglich auf arabischen Fernsehsendern und im Internet: Sie zeigen dort nicht Berlin, sondern mein Herkunftsland Syrien.

Diese Bilder lassen mich verzweifeln. Gleichzeitig wecken sie in mir aber auch Hoffnung auf das, was nach dem Krieg kommen mag. Was ich heute in Berlin an Kultur und Zivilisation erlebe, lässt mich eine Zukunft für Syrien sehen. Könnte meine Heimat nach dem Krieg ein Land wie Deutschland werden, ein Ort der internationalen Wirtschaft und des Gedankenaustausches?

Khalid Abdulhamid

Foto: Erik Irmer

1984 in Daraa in Syrien geboren, studierte Arabische Sprache und Literatur in Damaskus und arbeitete als Journalist. Ende 2012 flüchtete er aus Syrien nach Jordanien, seit Ende 2014 lebt Abdulhamid in Berlin. Vor ein paar Monaten begann er im Kulturradio des RBB zu arbeiten.

Als ich Kind war, versprach mir ein Nachbar, mich eines Tages mit nach Deutschland zu nehmen. Als ich mithilfe von „Reporter ohne Grenzen“ 2014 dann ein Visum für Deutschland erhielt, fragte mich meine Mutter, ob sich nun ein Traum erfüllt hätte. Ja, Deutschland war ein Traum für mich. Der Krieg hat mir diesen Traum erfüllt. Ich wünschte, das wäre nicht geschehen.

Wenn mich deutsche Freunde fragen, ob ich hier bleiben möchte, verneine ich. Mein Land braucht mich – das ist keine Übertreibung. Vor dem Krieg haben wir in Syrien zwar gelebt, aber die Angst lebte immer mit uns: etwa in Form des Verkehrspolizisten, der dir nach Lust und Laune Strafzettel geben konnte. Sie saß mit uns in der Schule und verbot uns, die vielen Fragen zu stellen, die wir im Kopf hatten. Sie saß mit uns vor dem Computer, damit keine Information und kein Bild an die Öffentlichkeit kamen, die dem Regime nicht gefielen. Das war so, wie wahrscheinlich die Angst mit den Ostdeutschen lebte, als nach dem Weltkrieg die Sowjetunion das Land besetzte.

In Berlin habe ich nie solche Angst. Hier fühle ich mich so sicher wie nie. Es gibt keine Militärcheckpoints, keine Flugzeuge, die ihre tödliche Ladung über den EinwohnerInnen abwerfen und Häuser, Schulen, Krankenhäuser zerstören. Trotzdem gibt es keinen Tag, an dem ich nicht nach Syrien zurückkehren möchte.

In Berlin fühle ich mich so sicher wie nie. Es gibt keine Flugzeuge, die ihre tödliche Ladung über den EinwohnerInnen abwerfen

Dabei ist Syrien längst nach Berlin gekommen. Auf der Sonnenallee, wo sich die vielen Läden der Palästinenser befinden, die in den Achtzigerjahren hierherkamen, sind mittlerweile Syrer die größte Gruppe. Man hört das an den Dialekten, die jede Region Syriens repräsentieren. Das zeigt, dass der Krieg alle trifft, ob aus dem Herrschaftsgebiet der Opposition, des Regimes oder Daeshs, wie wir den sogenannten Islamischen Staat nennen.

Wir alle hier versuchen, unsere Schmerzen zu vergessen und mit den Umständen, die uns das Leben aufzwingt, klarzukommen. Doch das ist im Zeitalter der sozialen Netzwerke schwierig. Deren Nachrichten, Bilder und Videos halten uns in ständigem Kontakt mit Syrien – oder dem, was davon noch übrig ist. Das Betrachten dieser Bilder verursacht meiner Seele jeden Tag Schmerzen. Trotzdem gibt mir mein Aufenthalt in Berlin Hoffnung. Ich will von den Möglichkeiten, die sich mir hier ergeben, profitieren, um mein Land später wieder aufzubauen.“