„Der Masterplan strotzt vor Binsen-weisheiten und enthält quasi keine belastbaren Zahlen“

Das bleibt von der Woche Die Berliner AfD ist doch nicht die Partei der kleinen Leute, der Senat hat keinen Integrationsplan, bei der achtstündigen Aufführung von Max Richters „Sleep“ läuft alles rund,und Vattenfall verscherbelt sein Lausitzer Kohlekraftwerk

Nix mehr mit Flachbild-schirm

Das Programm der AfD

Thilo Sarrazin wäre bei den Rechtspopulisten gut aufgehoben

Quält man sich ein wenig durch das, was die AfD am Sonntag bei ihrem Parteitag beschlossen hat, ist schnell klar: Thilo Sarrazin wäre bei den Rechtspopulisten gut aufgehoben. Und zwar nicht nur wegen seiner notorischen Abneigung gegenüber „Kopftuchmädchen“. Berlins Rechtsaußen-Sozi passte auch gut zur AfD, weil er partout diese Typen „in Jogginghosen“ nicht leiden kann, die ihre Stütze sofort zum nächsten Mediamarkt tragen.

Ist die Berliner AfD die „Partei der kleinen Leute“, wie sie dem Brandenburger Landeschef Alexander Gauland vorschwebt? Die Partei der Abgehängten, der Modernisierungsverlierer und Kampfhundbesitzer, deren größte intellektuelle Leistung es ist, herausgefunden zu haben, dass Wladimir Putin Eier hat und Angela Merkel nicht?

Eher nicht. Anstatt die „kleinen Leute“ wie Sigmar Gabriel mit „Sozialpaketen“ nur für Deutsche zu beglücken, will Berlins AfD-Chefin Beatrix von Storch lieber Sozialleistungen kürzen. Da bleibt der Typ mit dem Kampfhund doch lieber bei der Linkspartei. Muss ja auch kein schlechter Kerl sein.

Es lohnt sich also, sich mit der Programmatik der AfD auseinanderzusetzen. Und auch über den Tellerrand zu schauen. In Polen hat die nationalkonservative PiS die Wahlen unter anderem mit einem sozialdemokratischen Programm und der Forderung nach einem Kindergeld von 125 Euro gewonnen. Nach dem Wahlsieg verschwand das Kindergeld zunächst in der Schublade, weil dem Strippenzieher Kaczyński die Attacke auf die Verfassung wichtiger war. Ein klassischer Fall von Wahlbetrug. Vor allem die Protestwähler merken sich so was.

Auch in Berlin könnten viele im September ihr Kreuz bei der AfD machen, weil sie meinen, endlich mal „dran“ zu sein. Doch statt mehr Geld bringt ihnen die Störchin nur Lebensschutzrhetorik und Familienschoßwärmestubenversprechen. Dabei gibt es auch in Marzahn-Hellersdorf Alleinerziehende. Und die Kirchen sind da auch nicht gerade voll. Wahlbetrug? Nein, noch schlimmer. Es wird im Wahlprogramm stehen.

Also nichts wie her mit den Wahlprogrammen der AfD. Sind sie erst mal gedruckt, sollten wir sie verteilen gehen. Und aufs Kleingedruckte hinweisen. Und nebenbei drauf achten, dass die Kampfhunde angeleint sind. Uwe Rada

Dünne Suppe mit dicken Brocken

MASTERPLAN INTEGRATION

Chapeau! Selten wurden 238.000 Euro so schön in den Sand gesetzt

Am Dienstag legte der Senat ihn vor, seinen „Masterplan Integration“ – und noch immer reden sich Regierung und Opposition die Köpfe heiß. Nur streiten sie nicht über das, was drinsteht, sondern darüber, wer den Plan gemacht hat: McKinsey, der von dieser Firma angeheuerte Exstaatssekretär Lutz Diwell – oder doch Integrationssenatorin Dilek Kolat und die anderen Verwaltungen? Für die Inhalte dagegen interessiert sich kaum jemand – zu Recht. Denn der angebliche Masterplan ist ausgesprochen dünn, strotzt vor Binsenweisheiten und enthält quasi keine belastbaren Zahlen.

Es beginnt schon mit der Einleitung. Integration, wird da festgestellt, umfasst diverse Bereiche: Wohnungen, Gesundheitsversorgung, Sprache, Schule, Arbeit, Sicherheit. Weil das so ist, sagt der Plan, „ist eine enge Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Senatsverwaltungen und den Bezirken erforderlich“. Eine Selbstverständlichkeit, möchte man meinen: Verwaltungen sollten doch wohl an einem Strang ziehen.

In den folgenden Kapiteln listen dann die SenatorInnen ihre Lieblingsprojekte und Altbekanntes auf. Kolat darf eine Ausweitung von „Arrivo“ ankündigen (Flüchtlinge machen Praktika in Betrieben), die Bildungssenatorin den Ausbau der Willkommensklassen. Der Sozialsenator verspricht die Eröffnung seines Landesamts für Flüchtlinge im August (sollte mal April sein), der Stadtentwicklungssenator den Bau von MUFs und der Innensenator straffällig gewordene Geflüchtete abzuschieben.

Natürlich gibt es auch ein paar Neuigkeiten: All diese schönen Projekte (Integrationslotsen, Jugendsozialarbeit, Sprachkurse etc.pp.) werden nämlich „ausgeweitet“, „dem Bedarf angepasst“ – in manchen Fällen selbiges aber auch nur „geprüft“. Konkreter wird der Plan nicht, es gibt keine Angaben, wie viele LehrerInnen, Kurse, Polizisten usw. mehr gebraucht werden, und was das alles kosten wird.

Um zum Anfang zurückzukommen: Die Frage, die derzeit alle am brennendsten interessiert, hat sich nach Studium des Plans eigentlich erledigt. Viel McKinsey, so viel steht fest, steckt da nicht drin. Aus der Ecke kommt allenfalls die Prognose, dass man für dieses Jahr mit 50.000 neuen Flüchtlingen und danach mit einer Halbierung der Zahlen rechnet. Denn, so erklärte es der Chef der Senatskanzlei, Björn Böhning, am Freitag der Morgenpost: „Wir haben auf eine Beratungsleistung bei der Integration gesetzt, weil McKinsey tiefgründige Erfahrungen über (sic!) die prognostizierten Zahlen hat.“ Nimmt man dazu, was Michael Müller am Donnerstag im Abgeordnetenhaus sagte, das die Firma Workshops für die Verwaltungen organisiert hat, kann man nur sagen: Chapeau! Selten wurden 238.000 Euro so schön in den Sand gesetzt! Susanne Memarnia

Abschalten? Besser heute als morgen

Braunkohlebleibt

Vattenfall geht es jetzt darum, ­möglichst billig davonzukommen

Dass Braunkohle ein energiewirtschaftliches und klimapolitisches Auslaufmodell ist, steht spätestens seit dem Klimagipfel in Paris fest. Besonders nachteilig ist dieser Umstand nun für Vattenfall, das in der Lausitz derzeit seine Braunkohlesparte abstoßen will. Oder besser gesagt: abstoßen muss. Die staatlichen Eigentümer aus Schweden haben dem Konzern einen ökologischeren Kurs verordnet. Deshalb geht es Vattenfall in der Lausitz jetzt darum, möglichst billig davonzukommen – indem das schmutzige Geschäft verscherbelt wird. An wen, das entscheidet sich in nächster Zeit. Und zu welchem Preis, ebenfalls.

Fest steht nur, dass es erst mal weitergeht mit dem Braunkohleabbau und das möglichst gewinnbringend. Eine Option, die Wirtschaftskreise als wilde Utopie zurückweisen würden, bleibt jedoch außen vor: die sofortige Einstellung des dreckigen Geschäfts. Warum eigentlich?

Ökologisch wäre das doch eine feine Sache. Wälder blieben erhalten, viel CO2 im Boden, ganze Dörfer an Ort und Stelle.

Doch wie immer geht es um Geld: Denn so ginge bei einer Abwicklung des Kohlekraftwerks Vattenfall wegen des Nichtverkaufs gänzlich leer aus und müsste zudem 8.000 Beschäftigte abfinden. Zusätzlich benötigte der Energiekonzern Mittel für Maßnahmen zur Renaturierung. Bund und Land hätten derweil die Kosten eines schlagartigen Strukturwandels zu tragen. Und auch die soziale Frage, was mit den Beschäftigten des Kohlekraftwerks geschehen würde, stellt sich. Nicht jeder Kumpel ließe sich einfach so zum Förster oder Landschaftsgärtner umschulen.

Andererseits: Irgendwann ist die Braunkohleförderung sowieso am Ende. Deutschland – daran sei erinnert – hat sich moralisch zu einer schnelleren Energiewende verpflichtet. Es wäre also die Gunst der Stunde, erste Taten folgen zu lassen. Besser früher als später: Denn wenn 2022 die Atommeiler vom Netz gehen, könnte es vielleicht wieder verlockend sein, das dreckige Geschäft mit der Kohle weiter zu betreiben. David Joram

Warm durchpulster Schlaf

„Sleep“ im Kraftwerk Berlin

Aber alles ging gut: Schlaf- und sonstige Geräusche blieben lokale Phänomene

Was hätte nicht alles schief gehen können bei der weltersten Publikumsaufführung von Max Richters „Sleep“ im Rahmen des diesjährigen MaerzMusik-Festivals: Über 400 Menschen, die in der Nacht zu Mittwoch auf Campingbetten lagernd im „Kraftwerk Berlin“ lauschten und/oder schliefen, während der Komponist am Flügel und an diversen Rechnern, ein Streich­ensemble und eine Sängerin acht Stunden lang einen breiten musikalischen Strom am Fließen hielten – das war auch ein gewisses Wagnis. Somnambule, Schnarcher oder Selbstdarsteller hätten dem in Berlin lebenden Briten einen Strich durch die Rechnung machen können – und dieser wiederum durfte zu keinem Zeitpunkt die Konzentration verlieren.

Aber alles ging gut. Der in Zeitlupe pulsierende Bass aus den elektronisch verstärkten tiefen Tasten des Steinway-Flügels, die Endlosschleifen von Cello, Geigen und Sopran füllten das riesige Innere des ehemaligen Heizkraftwerks regelrecht physisch aus, Schlaf- und sonstige Geräusche blieben lokale Phänomene. Dazu schuf Richters melancholisch-warme Minimalmusik eine regelrecht versöhnliche Atmosphäre in dieser Kathedrale aus Beton. Hätten statt dem großen Kronleuchter an der Decke überall kleine Kerzen geflackert, wäre es fast eine säkulare Version der christlichen Wohlfühlkommunität Taizé gewesen.

Gut, das war jetzt ein gemeiner Vergleich. Auch wenn puristische Fans zeitgenössischer E-Musik die ziemlich harmonischen Ambient-Klänge des Briten mit Naserümpfen quittieren, auch wenn der Mann am Klavier gerne Musik für Filme und Fernsehserien schreibt, er ist zweifellos ein Profi und die Eingängigkeit seiner Kompositionen entspringt einem langen Reflexionsprozess und handwerklicher Präzision. Eine hervorragende Entscheidung der MaerzMusik-MacherInnen, die seit einiger Zeit erfolgreich versuchen, das Festival aus seiner atonal-elitären Nische herauszulösen und – vor allem elektronische – Werke mit Breitenwirkung ins Programm zu heben.

Und was kommt nun dabei heraus, wenn man Musik mit Schlaf mischt? Der Autor dieser Zeilen kann bestätigen: Die Bewusstseinsmembran wird durchlässig, ein hypnotischer Effekt stellt sich ein. Die Musik pulste in seinen Träumen einfach weiter (Träume, in denen aus nicht abschließend geklärten Gründen der Kapitän der USS-Enterprise Jean Luc Picard und ein Pferderennen vorkamen).

Erst als um acht Uhr morgens sanfter Applaus das Ende der Performance quittierte, schlief er fest ein, bis er von einem Helfer in der schon fast menschenleeren Halle geweckt wurde. Das war ein bisschen peinlich, aber irgend­wie auch toll.

Claudius Prößer