Gegen die Welt, aber mittendrin

FARBEN Ilse Heller-Lazard wurde Anfang des 20. Jahrhunderts Malerin, als Frauen noch von den Akademien ferngehalten wurden. Lange blieb das Werk der Expressionistin nahezu unbekannt. Jetzt zeigt das Verborgene Museum erstmals eine Retrospektive ihrer Bilder

All ihre Sujets sind vorrangig Anlass, Farbe in Bilder umzusetzen, sich in Farbe zu äußern und mit Farbe den Alltag künstlerisch zu durchdringen

VON CHRISTIANA PUSCHAK
UND JÜRGEN KRÄMER

Eine Bankierstochter, die malen will, aber als Frau die Akademie nicht besuchen darf, dann aber bis zu ihrem Tod ein eigenständiges expressionistisches Werk schafft: Eine Trouvaille erster Güte zeigt derzeit das Verborgene Museum in Charlottenburg. Präsentiert wird eine Auswahl von Gemälden der Künstlerin Ilse Heller-Lazard (1884 bis 1934), die erst vor Kurzem in einem privaten Nachlass entdeckt wurden. Es zeigt sich, dass Heller-Lazards Oeuvre mit Fug und Recht als gewichtiger Beitrag zum Expressionismus angesehen werden darf.

Einige wissen von ihrer Schwester Lou Albert-Lazard und ihrem Erinnerungsbuch „Wege mit Rilke“. Andere kennen sie vielleicht als Gesprächspartnerin berühmter Schriftsteller und Künstler wie Regina Ullmann, Heinrich Mann, Valeska Gert oder Marc Chagall, von denen sie brillante und treffende lithografierte Porträts schuf. Und einige dürften sogar ihre grandiose Montmartre-Mappe kennen, zwölf durch wirbelnden Schwung und prickelnde Technik faszinierende Blätter aus der Welt der nächtlichen Quartiere und Tanzlokale, oder ihre Zeichnungen aus dem französischen Internierungslager Gurs, die durch ihre einfühlsame Anlage bestechen. Aber ihr reichhaltiges künstlerisches Gesamtwerk ist weitgehend unbekannt.

Dass Ilse Heller-Lazard und ihren Arbeiten jetzt die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist das Verdienst des Architekten und Kurators der Ausstellung Ernst Heller. Der Nachfahr der Künstlerin hat im Verborgenen Museum nun einen repräsentativen Querschnitt ihres Werkes der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Bereits die beiden „Blühender Apfelbaum“ und „Apfelbäumchen“ betitelten Eingangsbilder der Ausstellung verdeutlichen Ilse Heller-Lazards künstlerische Spannbreite, die von ihr entwickelten Stile und Malweisen. Atmet das erste Bild die Farbigkeit der Spätimpressionisten, so weist das letzte den Geist eines beruhigten Expressionismus auf. Gegenüber der Welt zeigt sich die Künstlerin in einem ihrer Selbstporträts ebenso selbstbewusst wie skeptisch. Die Farben sind pastos aufgetragen und der Pinselduktus schwankt zwischen Frage und Anklage.

Gegenüber der Welt zeigt sich die Künstlerin ebenso selbstbewusst wie skeptisch. Der Pinselduktus schwankt zwischen Frage und Anklage

Ilse Heller-Lazards bevorzugte Sujets sind Landschaften in all ihrer Vielfalt, Stillleben und Porträts. All ihre Sujets sind aber, wie es scheint, vorrangig Anlass, Farbe in Bilder umzusetzen, sich in Farbe zu äußern und mit Farbe die umgebende Alltagswelt künstlerisch zu durchdringen. Bei ihren Bildern wartet die Malerin mit einer reduzierten Farbskala auf, die sie etwa in den Gemälden „Haus in der Tiefe“, „Baumlandschaft mit Stadt“ oder „Straßengabelung“ souverän zum Einsatz bringt. Licht und Schatten werden durch expressive Verwendung der Farben dargestellt. In der bevorzugten Verwendung der Farbe Grün, die beruhigend und harmonisierend wirkt und die Emotionen bändigt, zeigen viele ihrer Arbeiten den Stempel ihres Lehrmeisters Johann Walter-Kurau. Er motivierte sie und andere Frauen, die damals noch nicht zum Studium an den Akademien zugelassen waren, den schwierigen Weg der professionellen Malerin zu gehen. Walter-Kurau war selbst in seiner Form- und Farbauffassung von der Künstlervereinigung „Die Brücke“ und von Kandinsky geprägt. Er propagierte das Malen vor der Natur. „Ostseelandschaft“, „Küste mit Kreidefelsen“, „Meer am Mittag“ sind Beispiele für Heller-Lazards Virtuosität im Umgang mit der Farbe Grün. Sie können durchaus als „Reflexlandschaften“ im Monetschen Sinne, als eine Symphonie in Grün angesehen werden.

Farbintensivere Arbeiten wie „Romagna mit St. Peter am Horizont“, „Südlicher Weg mit Mauern und Pinien“, „Tiberlandschaft“ oder „Olivenhain“ sind Ergebnisse der künstlerischen Inspiration des mediterranen Südens, wo sie sich mit ihrem Mann Ernst Heller, mit dem sie eine von Eifersucht und Konkurrenz gezeichnete Künstlerehe führte, auf den Spuren der klassischen Kunst bewegte.

Ihre Arbeiten aus den Jahren 1911 bis 1927 sind farbbetont hell und licht, die Formen lösen sich in Farbflecken auf mit einer Dichte und Dominanz, die an Kokoschka und Cezanne erinnern. Die wenigen Arbeiten aus der Pariser Zeit sind dagegen in der Farbgestaltung eher dunkel und in der Strichführung dürr. Sie deuten Melancholie, Einsamkeit und Verlorenheit an.

■ Bis 31. Januar, Verborgenes Museum, Schlüterstr. 70. Do.–Fr. 15–19, Sa.–So. 12–16 Uhr. Katalog 29,80 Euro