Auftritt: Die Insolvenz

Bremer Stil: Früher, zu Zeiten von Kresnik und Zadek, Inbegriff des innovativen Theaters, heute Etikett für eine dauerhafte Finanzmisere, die jetzt die Belegschaft des Staatstheaters das Gehalt kostet

von Benno Schirrmeister

Die Schranke ist geschlossen. Bis vor kurzem hatte dieser Aufkleber auf dem rotweißen Querbalken geprangt: Schwarze Schrift mit einem Hahn, dem Logo des Hauses, sparsam designt, aber diesem Text! „Eines der muntersten Theater Deutschlands. FAZ.“ hatte dort gestanden, ein Graubrot-Lob aus dem Zentralorgan des Bildungsbürgertums von vor vier Jahren, und jedes Mal die Frage aufgeworfen, ob sich ein Großstadtheater mit einem solchen Slogan schmücken sollte.

Immerhin war Bremen doch einmal der Nabel der Bühnenwelt: Kurt Hübner hieß der Intendant, Rainer Werner Fassbinder und Peter Zadek waren seine Entdeckungen, Johann Kresnik auch, der hier das politische Tanztheater erfand, und Peter Stein und Hannelore Hoger und Bruno Ganz, und Bühnenbildner vom Schlage eines Erich Wonder, Innovation pur war das. Ende der 1960er-Jahre. Shakespeare trug Jeans am Goetheplatz, die Hanseaten reagierten verstört und verbannten schließlich die Helden. Doch alles, was neu war im deutschen Schauspiel, stammte damals von der Weser. Es hatte sogar einen Namen: Bremer Stil.

Jetzt ist der Aufkleber fort und Bremer Stil ist im Jahre 2005 kein Begriff der Bühnenkunst. Viel eher wär’s als Etikett der Finanzwirtschaft vorstellbar, mit dem sich undurchsichtige Transaktionen bezeichnen ließen, die am Ende immer auf neue Schulden für die öffentliche Hand hinauslaufen. Die dabei zu beobachtende Schäbigkeit im Umgang mit Menschen ist nur ein Kollateralschaden. Es geht ums Geld.

Beim Theater war Anfang September von einem Finanzloch in Höhe von einer Million Euro die Rede, das beim Vierspartenhaus aufgelaufen sei. Ende September wurde der kaufmännische Direktor entlassen, der sich seitdem mit dem Intendanten ein öffentliches Scharmützel um die Schuldfrage liefert. Mittlerweile ist der Fehlbetrag auf vier Millionen Euro hochgerechnet worden, die, erstaunlich genug, durch tausend vielleicht sogar ganz legale Haushalts-Tricks über Jahre aufgehäuft und an den zuständigen Gremien, an den Deputationen, am durch die Polit-Szene besetzten Aufsichtsrat und am geradezu legendären örtlichen Kultur-Controlling vorbeigemogelt worden wären. Das ist mit 11,5 Stellen relativ gut ausgestattet, in Hamburgs Kulturverwaltung überwachen nur 3 Mitarbeiter das Ausgaben-Management der Einrichtungen.

Dem Theater droht jetzt die Insolvenz, genauer: Die Stadtstaatsregierung droht, den scheinprivatisierten Betrieb in die Insolvenz zu schicken, es sei denn, die Belegschaft tritt ab sofort ihre Weihnachts- und Urlaubsgeld-Ansprüche ab. Solange sie zögern, bekommen sie erst einmal keine Löhne und Gehälter, auch für den laufenden Monat nicht. Die Bedingungen diktiert der Senat, weil der Theater GmbH die Mittel fehlen. Im Ensemble ist man längst nicht mehr munter, von „regelrechter Erpressung“ ist die Rede, man will, auch wenn das, zugegeben, immer irgendwie hilflos wirkt, Protest-Aktionen starten, vielleicht schon heute bei der Schauspiel-Premiere. Und der Generalintendant Klaus Pierwoß liegt im Krankenhaus: Die Sache geht ihm im Wortsinn ans Herz, sagen Leute, die es wissen müssen.

Verständlich. Pierwoß steht am Ende seiner Amtszeit, 2007 wird er die Stadt verlassen, und was jetzt geschieht, hat Züge einer Demontage. „Ein Theatertier“ nennen ihn die Leute aus dem Ensemble, dass er „Theater lebt“, sagen andere. Und für viele, und nicht nur aus dem Schauspiel, ist er der Hauptgrund, nach Bremen gekommen zu sein. Als Pierwoß vor elf Jahren das Bremer Theater übernahm war die Ära Hübner längst abgehakt. Vergessen, oder besser: verdrängt, weil die schnell wechselnden Nachfolger des legendären Talente-Finders, der am 30. Oktober 90 Jahre alt wird, gelinde gesagt glücklos agierten – wenn auch teuer. Pierwoß, daran erinnerte jetzt der Vorsitzende der Intendanten-Gruppe des deutschen Bühnenvereins, Holk Freytag „stand bereits in den ersten fünf Jahren seiner Amtszeit für Einsparungen in Höhe von rund 7,5 Millionen Euro gegenüber den Budgets seiner Vorgänger“. 2,5 Millionen Mark jährlich, das war tatsächlich die Kürzungs-Vereinbarung beim Dienstantritt gewesen, schon ein Jahr später wurde weiter am Theaterhaushalt herum geschnippelt, und die Diskussion ist seither noch jedes Jahr neu aufgeflammt: Sogar noch 2004, als der kurzlebige Furor der Kulturhauptstadt-Bewerbung eine Art Konsens hergestellt hatte, über Schöngeistiges nur in schönen Worten zu reden.

Schöne Worte auf Bremisch sind: „Standortfaktor“ oder auch „Investition“. Und mit Abstrichen: „Strukturwandel“, aber da ist man schon eher zurückhaltend, denn der Bremer findet im Grunde, es ist in seinem Stadtstätchen alles bereits so ganz gut geordnet, wie es ist. Nur etwas billiger könnte es sein.

Manchen ist er wahrscheinlich zu dick, doch mit seiner Leibesfülle hat Pierwoß seit jeher selbst kokettiert, etwa, als er kurzbehost, mit Trainer-Legende Otto Rehagel fürs Foto posierte. Oder als die Theaterkneipe „Zum dicken Klaus“ eröffnet wurde. Oder wenn er, bei einem Empfang über die allzu gute Küche seiner Frau scherzhaft schimpfte. Pierwoß ist der Typ gemütlich-poltriger, wenn auch dickköpfiger Familien- und Ensemble-Vater, dem Publikum gegenüber stets versöhnlich gestimmt. Eskalationen wie in der Ära Hübner? Die Zeiten sind vorbei, und die Empörung, die vor Jahr und Tag anlässlich einer für den Bremer Dom geplanten Kresnik-Inszenierung die Stadt überschwemmte, war schnell vom Feuilleton als Retro-Skandal ausgemacht. Markenzeichen der Intendanz Pierwoß: Ein am Richtwert der Auslastungszahlen orientiertes und an den Eckdaten des knappen Budgets von rund 25 Millionen Euro laborierendes Theater. Ein hungriges Ensemble, Sprungbrett für junge Talente. Ein Repertoire geeignet für Stadtgespräche, mit platzierten Akzenten. Und mit viel Durchschnitt. Wagemutig? Eher nicht. Aber munter eben. Ein sehr preisbewusstes Theater, mit stetig wachsendem Publikum, das die Verantwortlichen offenbar befriedigt hat.

Momentan sucht man nach einem Nachfolger für Pierwoß, der mit reduziertem Budget noch mehr Zuschauer lockt. Spätestens mit der aktuellen Debatte, die nicht nur der Präsident des deutschen Bühnenvereins Klaus Zehelein als Symptom der chronischen „Unterversorgung des Bremer Theaters“ sieht, sind die potenziellen BewerberInnen gewarnt: Dass bei der Ausschreibung von künstlerischen Ambitionen nicht gesondert die Rede ist, hat einen Grund. Es geht tatsächlich nur ums Geld.