"Böses Erwachen"

Sie Die Sicht der Freun-din Karin Schädler

Er hatte vergebens versucht, mich zu erreichen, als das im Gesundbrunnen-Center passiert ist. Nach seiner Freilassung war er völlig aufgelöst. Bis heute mache ich mir Vorwürfe, dass ich mein Handy nicht gehört habe und ihm nicht helfen konnte.

Er ist den USA aufgewach­sen, Polizeigewalt ­gegen Schwarze ist ihm insofern ein Begriff. Seine Meinung ­war: Eine Anzeige bringt eh nichts. Ich habe versucht, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Ich habe immer noch diesen Glauben an den Rechtsstaat. Den möchte ich auch nicht verlieren. Als wir erfuhren, dass auch er von der Polizei als Beschuldigter geführt wird, obwohl er Opfer des Angriffs durch Y. war, ist unser Anwalt aktiv geworden. Das Ganze hat uns nicht nur Kraft gekostet, sondern auch viel Geld.

Für mich war das schon ein böses Erwachen. Beruflich und privat hatte ich viel mit Menschen arabischer und türkischer Herkunft zu tun. Gegen sie gibt es auch viel Ungerechtigkeit. Aber so krass? Meine Vermutung ist: Die meisten Deutschen – Polizei inbegriffen – erwarten, dass Schwarze kuschen. Mein Freund strahlt aber sehr viel Selbstbewusstsein aus.

Die Entscheidung, das Verfahren gegen den Angreifer Y. einzustellen, ist nicht ausreichend begründet. Y. ist etliche Mal vorbestraft, auch wegen Körperverletzung. Alle Zeugen haben für meinen Freund ausgesagt, keiner für den Angreifer. Auch dass das Überwachungsvideo verschwunden ist, gehört zu den Ungereimtheiten. Aus meiner Sicht haben die Ermittlungsbehörden den Fall aus Desinteresse nicht weiterverfolgt. Natürlich gibt es Schlimmeres auf der Welt, aber das kann doch keine Rechtfertigung sein.

Wir sind seit drei Jahren ein Paar. Im Sommer werden wir Eltern. Die Geschichte belastet uns unheimlich, zumal Y. meinen Freund danach noch zweimal bedroht hat. Er ist zweimal vom Polizeirevier weggeschickt worden, als er Anzeige erstatten wollte. Mein Eindruck ist, dass die Behörden oft nur tätig werden, wenn ich dabei bin. Ich mache mir große Sorgen, dass mein Freund noch mal angegriffen wird oder aber dass auch etwas mit der Polizei passiert. Er ist hier nicht sicher. Das ist ein Scheißgefühl. Das ist ja schließlich mein Land.

Karin Schädler (35) ist Projektmanagerin für Internationale Medienentwicklung.

Protokoll Plutonia Plarre