LESERINNENBRIEFE
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Gebeuteltes Ruhrgebiet

■ betr.: „Wo die Sonne verstaubt“, taz vom 21. 12. 12

Das Revier sei gekennzeichnet durch verpasste Chancen? Das stimmt so nicht. Dass der Neoliberalismus nicht nur zur Weltreligion wird, sondern die Realität der Wirtschaft der Welt grundlegend verbiegt, war anfänglich nicht zu erwarten. Als innerhalb weniger Jahre eine halbe Million Bergleute ihre Arbeit verloren, hat man im Ruhrgebiet andere Industrien angesiedelt. Die Elektronikindustrie geriet aber unvorhersehbar schnell unter den Druck japanischer Unternehmen. Dass dann die Verdichtung der Arbeit und der Einsatz computergesteuerter Maschinen durch die Unternehmen in einem solch massiven Tempo zum Abbau von Arbeitsplätzen führt, hat niemand vorausgesehen. Dass die dann politisch gewollte weltweite Bewegungsfreiheit des Kapitals zu einer fast vollständigen Verlagerung von Industrie- und Handarbeit vor allem nach Asien führte, hat kaum jemand in diesem Ausmaß erwarten können.

Man hat im Ruhrgebiet sehr wohl versucht, immer neue Unternehmen anzusiedeln. Dies ist aber eine Industrieregion mit mehr als 5 Millionen Menschen gewesen, die nicht einfach in ein Dienstleistungszentrum umgewandelt werden kann. Darüber hinaus sind weit mehr Arbeitsplätze in der Produktion vernichtet worden, als neue in anderen Bereichen entstanden. Viele Unternehmen sind schneller verschwunden, als sie gekommen sind; oft mit den Subventionen im Portemonnaie, die sie gern geschluckt haben. Das Ruhrgebiet ist in ganz Deutschland am heftigsten gebeutelt von dem, was verharmlosend als Globalisierung bezeichnet wird. Wie man mit einem „ökologischen Stadtumbauprojekt“ Millionen Arbeitslosen eine Perspektive bieten will, bleibt mir schleierhaft. WILLI KLOPOTTEK, Herne

Intrigen im Sauerland

■ betr.: „Glaube, Sitte, Heimat“, vom 18. 12. 12

Das in der taz skizzierte düstere Bild einer erzkonservativen demokratiefeindlichen Atmosphäre in dem Sauerländer Ort Balve stimmt in vielen Aspekten mit meinen Erfahrungen überein. Ich wohne seit geraumer Zeit in dem nur 15 Kilometer entfernten Sundern. Dort gibt es immerhin die Oppositionsparteien SPD, Grüne und FDP. Nicht selten sind deren Mitglieder mit Intrigen und Mobbingkampagnen konfrontiert, die oft auch vor dem familiären Bereich nicht haltmachen. DOROTHEA SCHULTE-HUERMANN, Sundern

Grüne Rentendemontage

■ betr.: „Wahnsinn Wachstum“ und „Rente soll in die Verfassung“, taz vom 21. 12. 12

Wenn Wolfgang Strengmann-Kuhn von den Grünen sagt, dass die gesetzliche Rente als „tragende Säule“ der Altersvorsorge doch Grundkonsens ist, dann stimmt das einfach nicht. Jedenfalls nicht für die SPD und die grüne Fraktion im Bundestag, und für FDP und CDU erst recht nicht. Oder Strengmann-Kuhn denkt an die Zeit vor der Bundestagswahl. Die grüne Fraktion hat wie alle anderen Parteien außer der Linken am 27. 11. 2012 eine „Garantie-Zuschuss-Lebensleistungs-Solidarrente“ beschlossen, die sich die Geringverdiener doch bitte durch „unabdingbare“ private Altersvorsorge am besten selbst zusammensparen sollen. So sieht der derzeitige Rentenkonsens aus. Ebenso ist Konsens, dass die Beiträge für die Arbeitgeber stabil bleiben sollen – für die Arbeitnehmer sind sie dank „Riesterbeitrag“ (4 Prozent vom Bruttolohn) bereits heute auf 22,9 Prozent (18,9 Prozent +4 Prozent) gestiegen. Das Äquivalenzprinzip – wer viel einzahlt, bekommt auch mehr heraus – soll für untere Einkommen überhaupt nicht mehr gelten, so die grüne Fraktion, die sich mal locker über ihren eigenen Parteitag hinwegsetzt.

Mit Blick auf diese massive Koalition für die schrittweise Unterhöhlung und Abschaffung der gesetzlichen Rente stellt sich die Frage: Wieso berichtet eigentlich die Presse nicht darüber, dass auch die Grüne Fraktion den Sozialstaat und das Solidaritätsprinzip weiter abbauen will (man nennt das natürlich „Umbau, krisenfeste Anpassung, alternativlose Reform, unabdingbare private Vorsorge etc.“)? Der „verfassungsrechtliche Schutz“ der Rente hat die grüne Fraktion jedenfalls nicht davon abgehalten, gesetzliche Rentenansprüche bis 850 Euro voll auf die Garantierente anzurechnen und sich in Sachen Rentenniveau gegen eine Reparatur der Schröder’schen Rentendemontage zu entscheiden.

Ulrike Herrmanns Artikel „Wahnsinn Wachstum“ wäre weitaus wirkungsvoller – auch in unsere grüne Partei hinein –, wenn die Botschaft für mehr Solidarität und weniger Vereinzelung einen klaren Adressaten hätte: Nämlich eben die schweigende oder unwissende Basis und die irregeleiteten Vorstände aller Parteien, besonders von meiner Partei Die Grünen. MICHAH WEISSINGER, Essen