Don Macbetto

Großes Kino auf der Bühne: Der bereits in Stuttgart gefeierte Marc von Henning inszeniert Shakespeare am Schauspielhaus als Mafiosi-Drama

von Carolin Ströbele

Wollte man den hintersten Winkel der menschlichen Gedanken ausleuchten, den Abgrund der Seele in Bilder fassen – es würde wohl so aussehen wie der Raum, in dem dieser Macbeth spielt: Eine verrottete Toilette und ein Schlachthaus zugleich. Das Bidet ist besprenkelt mit Erbrochenem oder Blut. Auf einer abgedeckten Badewanne türmen sich halbleere Whisky-Flaschen.

Regisseur Marc von Hennig macht gleich klar, wo wir uns befinden – am Hort einer Mörderbande. Macbeth, Banquo, Macduff und Lennox sind in dieser Inszenierung im Schauspielhaus keine edlen Ritter, sondern Mafiosi. „Wir hießen die Schotten“, erzählt Macduff (Lutz Salzmann), der den Mordreigen kommentierend begleitet. Diese Schotten tragen Nadelstreifenanzüge und ihr „Pate“ König Duncan (Jürgen Uter) einen Mantel im Gangster-Stil der 30er Jahre.

Der Deutsch-Brite von Henning, der für seinen Macbeth schon am Staatstheater Stuttgart gefeiert wurde, hat die Gesetze der „ehrenwerten Gesellschaft“ auf den „Bandenkrieg“ um den schottischen Thron übertragen. Und es ist großartig und oft auch überraschend, wie gut dieses Konzept aufgeht.

Die Geschichte beginnt hier mit der Entdeckung des Mordes an Duncan – erst im Rückblick wird der Mordplan erzählt, den Macbeth und seine Frau ausgeheckt haben. Dramaturgisch ein geschickter Coup: Entsetzen und Ohnmacht des Paares erscheinen nach dieser Rückblende doppelt verlogen. In der zweistündigen Tour de Force um den Kampf um die Macht wird klar, dass die Waffen die gleichen sind – sei es in Chicago oder Inverness. Verräter werden hingerichtet, Frau und Kinder gleich mit.

Doch trotz des Mafia-Realismus verliert dieser Macbeth seine Mystik nicht – und das ist wohl die größte Leistung der Inszenierung. Die Prophezeiungen kommen hier nicht von drei Hexen, sondern von einer Klofrau (Juliane Koren). Obwohl es nur eine Pennerin ist, die im Vorbeigehen nuschelt, dass Macbeth einst König, Banquo aber Vater vieler Könige sein wird, horchen die beiden Kleinganoven sofort auf. Der Mensch hört, was er hören möchte – und ob sich im Falle Macbeth‘ wirklich das Schicksal erfüllt oder nur eine self-fulfillig-prophecy, bleibt offen.

Macht ist die stärkste aller Drogen, und Tim Grobe und Irene Kugler illustrieren drastisch, wie diese den Menschen erst auf- und dann zugrunde richten kann. Die Lady endet als verwirrter Junkie, der nicht mehr selbst von der Toilette hochkommt. Wenn Macbeth sie schließlich mit demselben Messer aufschlitzt, mit dem er auch seinen Paten umbrachte, erscheint das fast als Akt der Nächstenliebe.

Auch für Macbeth wird der Tod zur Erlösung aus einem Leben in Angst und Schlaflosigkeit. Er stirbt im Kugelhagel seiner früheren Gefährten. Pate wird ein anderer – doch von Happy-End kann keine Rede sein. Denn der Kampf um die Macht geht weiter – der nächste Mörder wartet schon auf seine Chance.

weitere Vorstellungen: 25.10., 19. + 25.11., 20 Uhr, Schauspielhaus