Berliner Szenen: Im Café
Braut in Zivil
Ich schreibe vor mich hin. Wenn ich schreiben möchte: „Alles Liebe“, verwandeln es meine Finger (Schreibmaschinenkurs Winter 1990) in „Alles Leibe“.
Ich verlasse die Wohnung, um einen Kaffee trinken zu gehen. Es ist kalt, ein kalter Februartag, aber immerhin scheint die Sonne. Ja, tatsächlich, es gibt sie noch. Vor dem Lieblingscafé sitzt eine blasse Norwegerin und schenkt mir ein Notizbuch. „Für die ungestörten Mittagspausen.“ Ich werde verlegen. Sie kennt mich, ich verstehe.
Feine, säuberliche Schnitte am Oberarm. Sie wirft eine Zigarette von sich.
Dann schaut sie nervös auf ihr Handy. Ihr Mann sitzt drinnen und liest die OK! Irgendwie passt er zum Interieur, er hat etwas Bestuhltes. Sein Handy ruft scheinbar wahllos, jedenfalls ohne sein aktives Zutun, irgendwelche Leute an. Es handelt sich meist um Frauen, die er nicht anrufen sollte. Aber sie nehmen nicht ab oder lassen sich ihre Mailboxen mit Kaffeehauslärm füllen. Sie rufen keinesfalls zurück.
Ich lächele die Norwegerin an. Darf ich die Geschichte verwenden? Vielleicht, lächelt sie. Dann taucht sie wieder ins Blaulicht ihres iPhones ab.
Ich gehe rein, nehme mir eine Zeitung, setze mich, schaue mich um. Ob es Glück bringt, eine Braut zu sehen? Da sitzt eine, unbemerkt, in Zivil und in Begleitung einer Freundin, die ihr den Kaffee und den New York Cheesecake bezahlt, rasch gehen muss, draußen ein Taxi herbeiwinkt. Die Braut, Typ Enya, dunkelweinrot gefärbte Haare, trägt einen Verlobungsring, der mir gleich als solcher aufgefallen war, und hat formschöne Unterarme. Sie wirkt etwas einsam, so bräutigamlos, bleibt aber noch, trinkt vor sich hin. Wo steckt ihr Zukünftiger?
Es soll mir egal sein. Auf den Deckel des neuen Notizbuchs schreibe ich meinen Namen. Darunter „Redakteur ohne Eigenschaften, Band 2“. René Hamann
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