Kein Verein für Abenteurer und Visionäre

Team der Woche: Der SV Luftfahrt Ringen Berlin ist vor zwölf Jahren in die Zweite Bundesliga aufgestiegen. Seitdem fühlt er sich dort wohl. Das Saisonziel der Treptower Ringer lautet deshalb: Nicht ab-, aber auch nicht aufsteigen

„Natürlich wollten wir gewinnen“, versichert Felix Menzel nachdrücklich. Der 18-jährige deutsche Meister und Vorzeigeathlet des SV Luftfahrt Ringen Berlin hatte nach der Heimniederlage gegen Concordia Zella Mehlis (19:20) allen Grund dazu. Der SV hat sich nämlich zwei Saisonziele für die Zweite Liga Ost gesteckt: Nicht absteigen und vor allem ja nicht aufsteigen. Ein Sieg gegen die Thüringer hätte die Berliner Ringer gefährlich in Richtung der Tabellenspitze katapultiert. Jetzt, mit einem ausgeglichenen Punktekonto, haben sie die optimale Balance zwischen Auf- und Abstiegszone gefunden.

„1. Bundesliga Ringen funktioniert in Berlin nicht“, begründet René Schäfer, der Vorsitzende des SV Luftfahrt, die Abneigung gegen den großen sportlichen Erfolg. Die Großstadt sei dafür ein zu schlechter Standort. Die Sponsoren engagieren sich lieber in der Provinz, wo der Randsportart Ringen größere Aufmerksamkeit zuteil wird. Die letzten deutschen Meister kamen aus Schifferstadt, Aalen oder Goldbach.

René Schäfer wirkt darüber nicht sonderlich betrübt. Die semiprofessionellen Strukturen der 1. Bundesliga sind ihm ein Gräuel. Er will seinen Kader nicht mit einer Söldnergruppe aus Osteuropa bestücken, wie man das 60 Kilometer weiter südlich beim Luckenwalder SC gemacht hat.

Von der geschäftlichen Seite des Sports hält Schäfer ohnehin nicht viel. Mit Ostalgie denkt er an die DDR-Zeiten zurück, als der Verein noch eine Betriebssportgemeinschaft der staatlichen Fluggesellschaft „Interflug“ war und jährlich 24.000 Ost-Mark zugesprochen bekam, inklusive eines Freifluges in den osteuropäischen Raum. Seit 1967 ist Schäfer Vereinsmitglied und seit 1982 Vorsitzender des damaligen SV Interflug.

Heute fallen insbesondere die familiären Strukturen des Vereins auf, in denen Geld eine völlig untergeordnete Rolle spielt. Von den etwa 100 Zuschauern, die den Wettkampf gegen Zella Mehlis verfolgen, sind etwa 80 Familienangehörige von Vereinsmitgliedern, schätzt René Schäfer. Es sind viele mit Frau und Kindern gekommen. Die Sponsoren stammen ebenfalls aus dem Umkreis des Vereins. Eine Kneipe aus Treptow und eine Buchhandlung vom Prenzlauer Berg zählen zu den Geldgebern. Und der Großteil der Mannschaft ist aus der eigenen Jugendarbeit hervorgegangen, auf die sie hier besonders stolz sind. Vor zwei Jahren erhielten sie die von einer Bank ausgelobten 2.500 Euro für die beste Nachwuchsarbeit in Deutschland. Damals, 1993, gelang es dem SV Luftfahrt, mit einer sehr jungen Mannschaft in die Zweite Liga aufzusteigen. Doch dort wurden im ersten Jahr die Punkte komplett den Gegnern überlassen. Man belegte den letzten Platz. Nur weil ein anderer Verein sich aus der Liga zurückzog, durfte der SV Luftfahrt sein Glück erneut versuchen. Mit der zuvor gewonnenen Erfahrung schob man sich ins untere Mittelfeld vor, diese Saison rangiert man gar in der oberen Tabellenhälfte.

Die Großfamilie des SV Luftfahrt trifft sich neunmal im Jahr in einer kleinen Turnhalle in Treptow und bietet den Mitgliedern die größtmögliche sportliche Herausforderung, welche die Haushaltskasse zulässt. Doch damit ist auch klar: Der SV Luftfahrt ist kein Verein für Abenteurer und Visionäre. Muss das für einen Deutschen Meister (Gewichtsklasse bis 66 kg) wie Felix Menzel nicht furchtbar langweilig sein?

Menzel schätzt die Nestwärme und Idylle bei seinem Heimatverein, dem er schon zehn Jahre angehört. Deshalb hat er sogar ein Angebot vom Erstligisten Luckenwalder SC ausgeschlagen. „Für meine persönliche Entwicklung wäre es wahrscheinlich besser zu wechseln“, räumt er allerdings ein. Irgendwann, sagt er, werde er das wohl auch tun müssen. JOHANNES KOPP