Brasiliens Wirtschaft auf Talfahrt

Krise II Arbeitslosigkeit und Inflation steigen rasant. Die Kaufkraft der Bevölkerung sinkt

Pause in São Paulo: erschöpfter Straßenarbeiter Foto: Nacho Doce/reuters

RIO DE JANEIRO taz | Mehr Arbeitslose und sinkende Einkommen: Die heftige Wirtschaftskrise in Brasilien hat den Arbeitsmarkt erreicht und bringt die Binnennachfrage ins Stocken. Damit fällt neben dem Rohstoffexport ein weiterer Wirtschaftsmotor weg. Die hohen internationalen Preise für Mineralien und der dynamische Binnenmarkt hatten neben der exportorientierten Agrarwirtschaft bis 2014 zu einem jahrelangen Boom geführt. Jetzt sind die ökonomischen Aussichten im größten Land Lateinamerikas düster.

Im Januar war die Arbeitslosigkeit nach Angaben des Brasilianischen Institut für Statistik mit einer Quote von 7,6 Prozent so hoch wie seit 2009 nicht mehr. Die Zahl der Arbeitssuchenden ist im Vergleich zum Vorjahresmonat sogar um über 42 Prozent angestiegen. Die Statistik bezieht sich auf die sechs größten Städte des Landes und gilt als Richtgröße für die Entwicklung im ganzen Land. Allerdings gibt sie keinen Aufschluss über den informellen Arbeitsmarkt, der in einigen Landesteilen weit über die Hälfte der Erwerbsarbeit ausmacht.

Die Rezession macht sich auch bei den Einkommen bemerkbar. Im Durchschnitt sanken die Löhne in den vergangenen zwölf Monaten um 7,4 Prozent. Die rückläufige Kaufkraft macht vor allem dem Einzelhandel zu schaffen, der 2015 mit teilweise zweistelligen Einbußen kämpfen hatte. Überall stehen Entlassungen an, und große Handelsketten haben schon zahlreiche Filialen geschlossen. Trotz der Flaute ist die Inflation hartnäckig. Seit einigen Monaten liegt sie bei über 10 Prozent und damit doppelt so hoch wie das von der Regierung anvisierte Ziel. Um die Preissteigerung und die gleichzeitige Abwertung der Landeswährung Real zu begrenzen, hält die Zentralbank die Leitzinsen bei über 14 Prozent, dem weltweit höchsten Wert.

Im vergangenen Jahr sank das Bruttoinlandsprodukt um knapp 4 Prozent, und für dieses Jahr ist die Vorhersage ähnlich. Sorgen bereitet jetzt auch die Verschuldung, da der Staatshaushalt angesichts der Einbußen auf neue Kredite angewiesen ist. Auch die Verschuldung von Konsumenten und die Angst um Zahlungsunfähigkeit nimmt rapide zu. Mit schuld daran ist der Bankensektor, der sich jeglicher Regulierung entzieht und inzwischen bei Kreditkarten Jahreszinsen von über 430 Prozent kassiert. Mittlerweile ist das internationale Image Brasiliens auf einem Tiefstpunkt angelangt. Die Ratingagentur Moody’s senkte die Kreditwürdigkeit Brasi­liens inzwischen auf Ramschniveau. Zwei weitere Ratingagenturen, Standard & Poor’s und Fitch, hatten bereits zuvor die Bewertung herabgestuft. Moody’s begründete den Schritt mit der anhaltenden Rezession und den Problemen der Regierung, Sparmaßnahmen im Kongress durchzusetzen.

Präsidentin Dilma Rousseff bekommt die Krise nicht in den Griff. Aufgrund eines riesigen Korruptionsskandals rund um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras und eines von der rechten Opposition betriebenen Amtsenthebungsverfahrens steht sie unter Druck. Zum Entsetzen ihrer Basis, der sozialen Bewegungen und der Gewerkschaften, setzt sie auf eine unternehmerfreundliche Sparpolitik. Doch die Konservativen – teils in der Opposition und teils abtrünnige Koalitionspartner – danken es ihr nicht. Sie setzen weiterhin auf das „je schlechter, desto besser“ und blockieren im Kongress alle Initiativen der Regierung, um den Haushalt zu sanieren. In ihrer Not kommt Rousseff ihren Gegnern immer weiter entgegen. Auf dem Programm steht eine Rentenreform, die vor allem zu Lasten der ärmeren Schichten ginge.

Präsidentin Dilma Rousseff bekommt die Krise nicht in den Griff

Andreas Behn