: Trauriges Jahrsiebt
Elend Real Madrid mag der reichste Klub der Erde sein, sportlich baut er immer mehr ab. Dass der Superstar über die Qualität seiner Kollegen klagt, passt zur miesen Stimmung nach der Derby-Pleite gegen Atlético
aus madrid Florian Haupt
Cristiano Ronaldo hatte gerade noch gefehlt. Man kann die Selbstzerstörungsversuche von Real Madrid ja kaum mehr aufzählen. Fristversäumnis beim Import von Torwart David De Gea, Pokalaus wegen eines Aufstellungsfehlers, 0:4 gegen Barcelona, Entlassung von Trainer Benítez, Transferverbot. Jetzt: ein trostloses 0:1 gegen Atlético Madrid, dritte Heimniederlage nacheinander in der Liga gegen den Nachbarn, Ende der letzten Meisterschaftshoffnungen, Proteste gegen den Präsidenten und einige Spieler, Rangeleien vor dem Stadion.
Immer deutlicher legt sich ein Gefühl von Dekadenz und Desintegration über das Santiago Bernabéu, ein „Gebäude in Flammen“, wie die klubnahe Marca schreibt, und in diese Gemengelange hinein hob also Ronaldo zu einer energischen Selbstverteidigung an. „Wenn alle auf meinem Niveau wären, wären wir Tabellenerster“, orakelte er, oder: „Es ist schwer, wenn Spieler wie Benzema oder Bale fehlen. Ich will nicht sagen, dass Jesé, Lucas (Vázquez, d. Red.) oder Kovacic nicht sehr gute Spieler sind, aber ...“
Nun, Mateo Kovacic hat mehr gekostet als jeder Atlético-Spieler mit Ausnahme von Antoine Griezmann – der überragende Schütze des Siegtreffers war ebenfalls 30 Millionen Euro wert. Hätte dieser Kovacic dafür beispielsweise Atlético verstärkt, er wäre in eine Mannschaft mit einer klaren Identität gekommen, die wohl auch diesen talentierten Mittelfeldspieler gut aussehen lassen würde. Bei Real kam er zu einer Mannschaft, in der wichtige Spieler nicht mehr sehen als Staffage für persönlichen Ruhm.
Kapitän so einer Mannschaft zu sein, ist kein leichter Job. Sergio Ramos versucht es. Er sei „stolz auf alle meine Mitspieler“, und Ronaldo sehe das bestimmt genauso, er habe sich nur „nicht ideal ausgedrückt“. Auch Ronaldo selbst versuchte zu begradigen: „Meine Äußerungen sind missverstanden worden, ich respektiere meine Mitspieler.“ Dass er sich ausgerechnet an jenem Nachmittag so aufgeplustert hatte, warf ein besonders schlechtes Licht auf ihn: er hatte nicht nur die wenigen Torchancen vergeben, sondern auch sagenhafte 25 Mal den Ball verloren.
Immer seltener steuert er so entscheidende Treffer bei wie Griezmann bei seinem Kontertor in der 53. Minute. Atléticos Star hat die gar nicht so dankbare Aufgabe, den Minimalistenfußball einer Mannschaft zu veredeln. Von Trainer Diego Simeone erhielt der Franzose dafür auch ein Sonderlob. Das historische Derby-Triple nahm der Coach zum Anlass für eine Grundsatzerklärung. „Diese Partie repräsentiert uns. Das sind wir. Die Beständigkeit, das Kollektiv, die Idee des Teams vor dem Einzelnen.“
Also, kurzum, das entgegengesetzte Modell zu dem, das Real verfolgt. Daran konnte bislang auch Zinédine Zidane nichts ändern. Knapp zwei Monate nach Inthronisierung ist der Heldeneffekt schon wieder verpufft. Eine politische Startaufstellung mit den formschwachen Künstlern Isco und James Rodríguez, das taktische Versäumnis, Dominanz im Mittelfeld herzustellen, oder die psychologische Unfähigkeit, seine phasenweise wie blockierten Profis aufzurütteln – beim ersten echten Härtetest wollte dem Jungtrainer nichts gelingen. „So ein Spiel hätte ich nicht erwartet“, analysierte er.
Andererseits ist der neue Trainer kaum der Hauptverantwortliche für Reals fortgesetzte Pein. Die Anhänger richten ihren Fokus daher schon länger in Richtung VIP-Tribüne. Dass sie wie schon beim Debakel gegen Barcelona die Demission des Präsidenten forderten, hatte darüber hinaus auch eine symbolische Note: Am Spieltag jährte sich der Rücktritt aus seiner ersten Amtszeit zum zehnten Mal.
Seit 2009 ist Pérez zurück. Seit 2009 kickt auch Ronaldo in Madrid. Seitdem können die Fans mit den Forbes- und Deloitte-Ranglisten hausieren gehen, die Real als vermögendsten Klub der Welt auszeichnen, oder mit all den Goldenen Bällen, Goldenen Schuhen und Supertorquoten ihres Superstars. Die Meisterschaft durften sie in diesen sieben Jahren allerdings nur einmal feiern. Inzwischen sind sie nicht mal mehr in der eigenen Stadt die Nummer eins.
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