„Offenbar macht langsam die Einsicht die Runde, dass man die Realität anerkennen muss“

Das bleibt von der Woche Am Lageso wittert man Korruption, das Gorki Theater erhält schon wieder einen Preis, die Initiative fürs Fahrrad-Volksbegehren stellt ihre zehn Ziele vor, und die Standorte für neue Flüchtlingsunterkünfte stehen fest

Paradies für windige Gestalten

KORRUPTION BEIM LAGESO

Der Zusammenhang mit der „Allert-Affäre“ liegt schon jetzt auf der Hand

Was für ein Paukenschlag! Am Donnerstag wurde ein Referats­leiter des Landesamts für Gesundheit und Soziales (Lageso) wegen des Verdachts der Bestechlichkeit festgenommen. Das wundert Sie, liebe/r LeserIn, jetzt gar nicht? Damit haben Sie verdammt recht.

Wir erinnern uns: Nachdem 2014 herauskam, dass ein Patenkind des damaligen Lageso-Chefs Franz Allert auffällig oft mit Aufträgen zum Betrieb von Flüchtlingsheimen bedacht worden war, gab es Ermittlungen. Eine Wirtschaftsprüferfirma stellte fest, was viele lange vermutet hatten: Das Amt sucht die Betreiber von Flüchtlingsheimen ohne Ausschreibung aus, es kontrolliert nicht, ob sie ihre Arbeit machen, und dokumentiert nicht, wer warum welchen Auftrag und Geld bekommt.

Im Zentrum des behördlichen Chaos: Stefan T., Referats­leiter bei der Berliner Unterbringungsleitstelle (BUL), die für die Auswahl und Kontrolle der Heimbetreiber zuständig ist. Nach dem Bericht der Wirtschaftsprüfer wurde er versetzt, war seitdem für die Heimaufsicht zuständig.

Genau dieser T. steht nun im Verdacht, „gewerbsmäßig“ Schmiergeld von einer Sicherheitsfirma genommen und dafür Heimbetreiber genötigt zu haben, diese Sicherheitsfirma zu beauftragen. Natürlich muss man nun erst mal die weiteren Ermittlungen abwarten. Wurden noch andere Lageso-Leute geschmiert? Gab es auch andere Firmen, die sich „erkenntlich“ gezeigt haben, wenn sie Aufträge bekamen?

Der Zusammenhang mit der „Allert-Affäre“ liegt jedenfalls auf der Hand.

Beim Lageso herrschen paradiesische Zustände für korrupte Geschäftsmacher und Beamte – daran hat sich übrigens seit vorigem Jahr nichts Wesentliches geändert. Und es wäre ein Wunder, wenn nur T. das ausgenutzt hätte. Susanne Memarnia

Großes Lob und großer Druck

Theaterpreis fürs Gorki

Noch immer einmalig in der deutschen Theaterlandschaft

Wow, noch ein Preis für das Gorki Theater. Macht einen auch als Berliner ohne Migrationshintergrund irgendwie stolz. Erst vor drei Spielzeiten traten Shermin Langhoff und Jens Hillje als Intendanten an, schwupps wurde ihr Haus 2014 Theater des Jahres. Im Mai dürfen sie nun, wie am Dienstag bekannt gegeben wurde, den Theaterpreis Berlin 2016 einsacken. Die Stiftung Preußische Seehandlung vergibt ihn, zu den Juroren gehören unter anderem der Intendant Wilfried Schulz und die Theaterkritikerin Barbara Burckhardt, kluge Kenner der Szene. Sie betonen, dass „Langhoff und Hillje das Maxim Gorki Theater konsequent und radikal zu einer Spielstätte gemacht haben, die die Vielfalt der Stadtbevölkerung spiegelt, in seinem performativen und diskursiven Programm wie in seinem Ensemble“. Und dass das noch immer einmalig ist in der deutschen Theaterlandschaft. Ein junges, internationales Publikum goutiert das.

Das ist ein zweischneidiges Alleinstellungsmerkmal, von dem die Autorin Mely Kiyak, die eine Kolumne für das Gorki schreibt, gerade bemerkte: „Es ist so peinlich, dass das Maxim Gorki Theater immer wieder erklären darf, warum das Ensemble das einzige in Deutschland ist, das die Bevölkerungsstruktur widerspiegelt.“ Peinlich für Deutschland. Vom vielen Lob einerseits in die Rolle eines Musterschülers geschoben, sieht sich das Gorki andererseits in der Rolle eines Rufers in der Wüste, was den erstarkenden Rassismus angeht. Das drückt sich schon mal in einer gewissen Penetranz aus, in Hasstiraden, die auf der Bühne den Spieß umkehren und den Zuschauer in seiner Identität plötzlich auf seine Herkunft festlegen. Keine angenehme Erfahrung.

Berlin hat sich verändert, seit Langhoff und Hillje im Gorki an den Start gingen. Das Haus ist nicht nur ein wichtiger Ort für die Debatte, zum Beispiel um den Umgang mit Flüchtlingen, sondern auch für konkrete Modelle der Teilhabe. Das häuft viel Aufmerksamkeit und viel Verantwortung auf ihre Schultern. Die Wucht, mit der hier gespielt und geschimpft wird, ist sicher auch Gegenwehr gegen diesen Druck. Katrin Bettina Müller

Mehr als nur so Stückchen

VolksentscheidFahrrad

Im Vergleich zu anderswo ist man hier alles andere als „state of the art“

In den Tagen, als ihr Fall gewiss war / Auf den Mauern begann schon die Totenklage / Richteten die Troer Stückchen grade, Stückchen / In den dreifachen Holztoren, Stückchen. / Und begannen Mut zu haben und gute Hoffnung.

So dichtete einst Bert Brecht in seinen „Buckower Elegien“, und natürlich ist es ein bisschen unverschämt, das zur Analogie der sozialdemokratischen Verkehrspolitik im Angesicht des drohenden Fahrradvolksentscheids umzumünzen. Allein, die Verlockung war zu groß.

Irgendwie wirkt es nämlich doch so, als wolle die SPD-geführte Verkehrsverwaltung sich selbst beruhigen, wenn sie unter der Überschrift „Verkehrsplanung per Gesetz ist der falsche Weg“ erst einmal festhält, dass die Forderungen des „Volksentscheids Fahrrad“ auf unsinnigen Maximalforderungen beruhe, um dann hervorzuheben, dass doch im laufenden Jahr wieder etwas mehr Geld für den Ausbau der Radwege zur Verfügung stehe. Ach was, demnächst könne man vielleicht sogar noch ein bisschen drauflegen, und außerdem liege schon bald ein „erster Entwurf“ der „Strategie Fahrradparken“ vor.

Das sind nun mal bloß Stückchen. Klar, die in diesem Jahr eingeplanten 15,3 Millionen Euro für den Ausbau und die Instandhaltung von Radwegen sind nicht nichts. Auf jeden Fall sind sie schon mal besser als die 2015 veranschlagten 13,8 Mil­lio­nen, von denen am Ende nur 11,8 tatsächlich ausgegeben wurden. Aber im Vergleich zu anderen Kommunen im In- und Ausland ist es eben alles andere als state of the art.

Mit 120 bis 150 Millionen Euro rechnen dagegen die Initiatoren des Volksbegehrens für die Umsetzung der Maßnahmen, die sich aus ihrem am Dienstag vorgestellten vorläufigen Gesetzentwurf ergeben – über mehrere Jahre, wohlgemerkt. Und was ist das schon verglichen mit dem Berliner Beitrag zum BER, der sich auf über 2.000 Millionen Euro belaufen wird?

Das Thema ist jedenfalls gesetzt, und die Schlacht um den Radweg wird vielleicht eine der spannendsten in diesem Jahr. Die nötigen Stimmen für das Volksbegehren werden im Nullkommanix gesammelt sein. Und dann müssen die Parteien im Wahlkampf verkehrspolitisch Farbe bekennen.

Im Gegensatz zur status-quo-verliebten SPD haben die Grünen die Initiative begrüßt: Sie wollen auch, „dass sich was dreht“. Ein so klares Bekenntnis können sie im nicht völlig auszuschließenden Fall, dass sie im Herbst mal wieder Koalitionsgespräche führen dürfen, nicht einfach an der Garderobe abgeben. Claudius Prößer

Der Senat mal mit Geschick

FlüchtlingsUnterkünfte

Kein Protest, kein Aufstand „besorgter“ Lokalpolitiker

Dass die Sache einigermaßen geräuschlos über die Bühne gehen würde, war nicht zu erwarten. Zu groß ist normalerweise die Aufregung, wenn es um Unterkünfte für Flüchtlinge geht – not in my backyard, lautet die Standardantwort. Nach diesem Motto schienen auch die Bezirke zu verfahren, als sie mit den Senat um die Standorte feilschten, an denen sogenannte MUFs (Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge) sowie Containerdörfer entstehen sollen.

Noch vor zwei Wochen war das Geschrei groß, als der Finanzsenator eine erste Liste mit Adressen veröffentlichte. Am Dienstag wurde nun eine aktualisierte, nur wenig veränderte Liste bekannt, und aus den Bezirken kam – nichts. Kein Protest, kein Aufstand „besorgter“ Lokalpolitiker, die vor einer „Überforderung“ ihres Wahlvolks warnen, das jetzt „Ausländer“ als Nachbarn bekommt. Stattdessen Bekenntnisse, man wolle selbstverständlich seinen Teil zur Lösung beitragen.

Dieser „Stimmungswechsel“ heißt nicht, dass die Politiker dieser Stadt nun alle begeisterte Anhänger einer Willkommenskultur geworden sind. Aber offenbar macht langsam die Einsicht die Runde, dass man die Realität anerkennen und die Menschen unterbringen muss. Sie können nicht ewig in Turnhallen und Hangars campieren.

Zudem hat der Senat geschickt agiert, indem er Bedenken der Bezirke gegen einzelne Standorte Rechnung getragen hat: In Heckeshorn zum Beispiel wird es doch keine Massenunterkunft mit fast 2.000 Plätzen geben; der Neuköllner Mitmachzirkus kann auch bleiben. Dennoch wird es Opfer geben: etwa die Wagenburg „Kanal“, auf „deren“ Grundstück in Neukölln ebenfalls eine MUF entstehen soll. Andererseits: Ist nicht auch hier mit etwas gutem Willen eine Lösung denkbar? Warum sollten auf 8.000 Quadratmetern nicht alle Platz haben: 20 Wagenburgler und 500 Flüchtlinge?

Ein solches Gemeinschafts­projekt könnte sogar Vorbildcharakter haben und zeigen, dass und wie das Zusammenleben funktionieren kann. Denn daran zweifeln weiterhin viele. Das sieht man nicht zuletzt daran, dass die demonstrative Zufriedenheit, die Bezirke und Senat nun zur Schau stellen, am Ende auch mit einem Zugeständnis erkauft wurde: Man baut jetzt erst mal mehr Containerdörfer und weniger MUFs. Offenkundig meinen nicht wenige Lokalpolitiker, Container, die immer nur ein Provisorium sind, könne man den Wählern besser verkaufen. Das aber ist nicht nur integrationspolitisch fatal, sondern auch stadtpolitisch dumm: Nur die MUFs werden, sofern sie wirklich so günstig und komfortabel werden wie versprochen, allen BürgerInnen zu Gute kommen – den neuen und den alten.

Susanne Memarnia