Die Nitratbelastung des Grundwassers und verunreinigte Flüsse stehen nicht auf dem Preisschild von Lebensmitteln, sollten sie aber
: Gestresste Bauern, leidende Tiere

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Den norddeutschen Bauern geht es schlecht. Sie sind verschiedensten Arten von Stress ausgesetzt und viele haben jetzt ein Burn-out. Es gibt sogar einen Ansprechpartner für Bauern die von Burn-out betroffen sind. Hans Friedrichsen aus Horstedt in Nordfriesland. Da können sich die vom Burn-out betroffenen Bauern hinwenden. Ich hoffe, sie wenden sich auch noch an einen Arzt. Was ist also los, warum geht es den Bauern so schlecht?

Der Druck ist so hoch, sagen die Bauern, sie müssen immer mehr für immer weniger Geld produzieren. Ich meine, das stimmt. Ich gehe einmal im Jahr, vor Silvester, zu Aldi, und da sehe ich mir die Preise für Lebensmittel an und bin sacht erstaunt. Ich kaufe meine Lebensmittel sonst im Bioladen ein und zahle ungefähr das Dreifache. Die Bauern müssen also sehen, wie sie das wuppen, dass die Milch für fast nichts produziert wird, wie das Schnitzel und das Ei. Das ärgert die Bauern, die nicht gerne von Massentierhaltung sprechen, weil das nämlich ein ideologisch verbrämter Begriff ist. Es heißt richtig Intensivhaltung.

Nur in der Intensivhaltung kann man zum Beispiel Hühner produzieren, die im Grillstand vor Edeka, drei Hälften gegrillt, acht Euro kosten. Also etwa fünf Euro das gegrillte Huhn, wie viel davon geht dann an den Bauern? Wie schafft er es, ein Huhn für, sagen wir, einen Euro bis zur Grillreife aufzuziehen? All das sind so die Probleme, aber das nicht allein, nein, der Bauer ist vor allem betrübt bis zur Depression, weil sein Ruf jetzt plötzlich so schlecht ist.

Es wird eine Hetzkampagne gegen den Bauern betrieben, meint Herr Friedrichsen und auch die Sprecherin des Bauernverbandes Schleswig-Holstein, Kirsten Hess, ist dieser Ansicht. Und was ist die Folge von diesem Stress, den die Bauern erleiden? Die Tiere leiden auch. Wenn der Bauer leidet, leidet auch das Tier. Die Tiere leiden nicht etwa, weil sie massenhaft zusammengequetscht sind, weil sie keinen Auslauf haben, weil ihnen die Schwänze und die Schnäbel abgeschnitten werden, weil sie mit Medikamenten vollgestopft und direkt nach der Pubertät geschlachtet werden. Nein, die Tiere leiden, weil es dem Bauern schlecht geht, und dem Bauern geht es schlecht, weil so über ihn gehetzt wird. Die Hetzer über den Bauern sind also die eigentlich Schuldigen an den Tierschutzverletzungen.

Der Bauer. Er hat mit dem Onkel im Pappbilderbuch, der das Lämmchen auf dem Arm und die Katze auf dem Hut hat, nicht mehr viel zu tun. So kann er nicht mehr produzieren. Die Ställe, in denen die Tiere gehalten werden, sind hochtechnologisiert. Deshalb bin ich auch für das Verbot solch verlogener Pappbilderbücher. Die Bauern haben es schwer. Das sehe ich ein. Im Moment demons­trieren sie gegen die niedrigen Milchpreise. Ich weiß nicht genau, wie die Milchpreise entstehen und warum die Bauern die Milch nicht einfach teurer verkaufen können. Es ist wohl so, dass ein Aldi-Markt die Milch so einkauft, wie er will. Und der Aldi-Markt-Besucher möchte das ja auch so, weil ihm die Landwirte egaler sind als sein Portemonnaie.

„Nitratbelastung in Niedersachsen auf hohem Niveau“ ist die dritte Meldung derzeit aus dem landwirtschaftlichen Bereich. Insbesondere in den Kreisen Cloppenburg und Vechta, wo es besonders viel Intensivhaltung von Tieren gibt, sähe das gar nicht gut aus. Schuld wäre die Überdüngung. Die Überdüngung resultiert nicht aus zu viel gutem Willen zur Düngung, sondern aus zu viel Ratlosigkeit bezüglich der Gülleentsorgung.

Zu viel Nitrat im Grundwasser? Das steht auf keinem Preisschild, auch wenn das der Preis ist. Das sollte da vielleicht stehen: Ich koste auch noch hundert Liter verunreinigtes Grundwasser. Ich koste vier Meter Fluss und hundertzwölf tote Fische. Aber wir wollen den Bauern nicht weiter quälen. Er ist auch gar nicht schuld. Nicht allein.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.