Raus aus dem Charleston-Kleid

CHANSON Kitty Hoff singt erstaunlich ironiefrei von roten Lippen und dem ganz normalen Traum vom Glück. Dabei ruhen ihre Lieder auch auf ihrem neuen Album so stilsicher in sich, dass da keine Rede von Schlager ist

„Das wäre seltsam, wenn unsere Musik Mainstream werden könnte“

KITTY HOFF

VON THOMAS WINKLER

Die Argonauten, so erzählt es die Sage, waren auf der Suche nach dem Goldenen Vlies. Das wiederum war das Fell eines Widders, der fliegen und sprechen konnte. Jedenfalls, bevor man ihm das Fell über die Ohren zog. Kitty Hoff kann man sich durchaus im Pelz vorstellen, so mondän kommen ihre Chansons daher. Aber nicht deshalb heißt ihr neues Album „Argonautenfahrt“. Vielmehr geht es, sagt sie, „um Sinnsuche – darum geht es doch immer in der Musik“.

Eine Sinnsuche also. Allerdings eine, die wenig mühevoll erscheint. Auch auf ihrem fünften Album unterlegen die Herren ihrer Begleitband Forêt-Noire die Lieder, die Hoff schreibt, mit butterweichen Arrangements, filigranen Rhythmen und kultivierten Melodiefolgen, die zu einem guten Teil aus dem Jazz stammen, aber gänzlich unbeleckt sind von dessen akademisch hoch getragener Nase. Darüber singt die Chefin, als ginge sie das alles gar nichts an, vom „ganz normalen Traum vom Glück“, von roten Lippen, Cocktails und Menschen im Café. Selbst wenn sie Sand auf Strand reimt, hört sich das noch an, als würde gerade Stroh zu Gold versponnen. Auch eine Kunst.

Aber eine, die die 40-jährige Hoff so hervorragend beherrscht, dass sie schnell zu einiger Berühmtheit gelangte und ihr erstes Album „Rauschen“ bereits bei einem großen Plattenkonzern erschien. Das war 2005, und die Presse nannte sie Diva oder Salonlöwin. Denn ihre Lieder übertrugen die Errungenschaften des gerade zu dieser Zeit in Frankreich grassierenden Nouvelle Chanson nicht nur in die deutsche Sprache, sondern auch auf hiesige Verhältnisse. Andererseits aber beschworen sie unverblümt die Goldenen Zwanziger herauf und dazu den Humor eines Georg Kreisler. Denn immer, wenn das Sentiment zum Kitsch zu verkommen drohte, wenn Gefühl zum Pathos erstarrte, baute Hoff einen kleinen Überraschungseffekt ein, sorgte für ironischen Sicherheitsabstand.

Diese Methode scheint Hoff nun ebenso nicht mehr nötig zu haben wie die Charleston-Kleidchen, die sie früher trug. Die Songs von „Argonautenfahrt“, von denen gut die Hälfte mit üppigen Orchesterarrangements ausgestattet ist, sind jedenfalls erstaunlich ironiefrei.

„Die Brüche sind vielleicht nicht mehr so augenscheinlich“, sagt Hoff, „aber sie sind noch da, nur feiner, nicht mehr so holzschnittartig.“ Tatsächlich: Nur noch manchmal fällt „diese Traumfabrikattrappe“ in sich zusammen, wenn sich jemand verliebt dagegen lehnt. Doch meist singt Hoff im Vertrauen auf ihre Texte und auf ihre Stimme weitgehend unverstellt von Hoffnungen und Ängsten, vom „Herzschlag im Raum“ und vom Bären, der sein eigenes Fell vor den Kamin legt, um dort jemanden zu verführen, und „der Mond scheint durch das Fenster“.

In einem anderen Song, der von Liebe auf den ersten Blick erzählt und dass die auch im Winter auftreten kann, findet sich eine Zeile, in der die zweifache Mutter ihre neue, entspanntere Herangehensweise zusammenzufassen scheint: „Ja, das ist kitschig, ich weiß, aber furchtbar schön – von gestern bis heute“.

So entstehen Lieder, die sich nicht mehr darum scheren, ob sie für Schlager gehalten werden könnten, sondern ganz stilsicher in der eigenen Souveränität ruhen, wissend, dass sie für jeden, der bereit ist wirklich zuzuhören, niemals in den Verdacht geraten können, Schlager zu werden. „Ironie bedeutet ja auch immer Distanzierung“, sagt Hoff, „vielleicht versuche ich nicht mehr um jeden Preis drüber zu stehen – und dann kann die Ironie eben feiner werden.“

Das ist eine Qualität, mit der Kitty Hoff & Forêt-Noire hierzulande recht allein stehen. Mit der sie aber auch – trotz des Engagements bei einem Entertainment-Konzern, das nach den ersten drei Alben zu Ende ging – nie ein wirklich großes Publikum erreichen konnten. „Ich habe immer daran gezweifelt, dass wir durch die Decke gehen könnten“, ist Hoff realistisch, „das wäre seltsam, wenn unsere Musik Mainstream werden könnte.“

Immerhin aber hat Hoff dafür den Aufstieg und das Verglühen von Schlagersternchen wie Annett Louisan beobachten dürfen, mit der sie anfangs gern verglichen wurde. Auch der sentimentale Rummel um die Roaring Twenties, der sich in den vergangenen Jahren in Berlin zum Hype ausgewachsen hat und beinahe täglich bei Swing-Partys gefeiert wird, ist an Hoff und ihrer vierköpfigen Begleitband weitgehend vorbeigegangen.

Zwar mag die studierte Sängerin und Tänzerin durchaus die Ästhetik jener Zeiten, aber die entpomadisierte Alternative zu Max Raabe, die sie anzubieten hat, war wohl zu wenig rückwärtsgewandt. Ein einziges Mal, erinnert sich Hoff, hätten sie die Einladung zu einer solchen Tanzparty angenommen. „Das hat überhaupt nicht funktioniert, und wir wurden nie wieder zu so einer Veranstaltung eingeladen“, sagt Hoff, „wir sind eben keine Unterhaltungskapelle.“

Das bedeutet natürlich nicht, dass Kitty Hoff & Forêt-Noire nicht unterhaltsam wären. Aber ihr Anliegen war es nie, eine Horde Romantiker, die sich verkleiden wir ihre eigenen Urgroßeltern, zum Tanzen zu bringen. Eigentlich ist Hoff eine Singer/Songwriterin, die aber aus ästhetischen Gründen Baumfällerhemd und akustische Gitarre mit vier Spitzenmusikern im schnieken Anzug ersetzt hat. So gesehen führt die „Argonautenfahrt“ ins Nichts, denn Hoff hat ihre Bestimmung längst gefunden.

■ Kitty Hoff & Forêt-Noire: „Argonautenfahrt“ (Herzog Records) Kurzkonzert 10. 1. bei Dussmann, Friedrichstr. 90, 19 Uhr, Eintritt frei