Quälerei am Rheinufer

Piraten 300 Unverzagte pilgern zum Bundesparteitag der einstigen Newcomer-Partei

Lustige Typen, diese Piraten Foto: dpa

LAMPERTHEIM taz | „Neue Perspektiven, schmerzfrei, Punkt“ steht auf dem Plakat in der tristen Mehrzweckhalle im südhessischen Lampertheim. Hier am Rheinufer sind die Piraten zu ihrem Bundesparteitag zusammengekommen. In Umfragen rangiert die einstige Senkrechtstarterpartei unter „Sonstigen“, der Parteitag soll ein Neuanfang sein.

Ganz schmerzfrei geht die Sache allerdings nicht ab. Statt der erwarteten 550 Teilnehmer sind gerade mal 300 gekommen, obwohl alle 6.000 Mitglieder eingeladen wurden. Vier Jahre zuvor hatte die Partei fünfmal so viele Mitglieder. Doch bei der Bundestagswahl 2013 ist die Partei nach vier erfolgreichen Landtagswahlen deutlich an der Fünfprozenthürde gescheitert.

Der Bundesvorsitzende Stefan Körner gibt sich zum Auftakt des Parteitages zuversichtlich. „Deutlich konsolidiert“ sei die Partei nach den Querelen und Austritten der letzten Zeit. Immerhin: Noch sitzen mehr als 40 Piraten in Landes- und 340 in Kommunalparlamenten, allerdings hält sich inzwischen das öffentliche Interesse an den Piraten sehr in Grenzen. Nur zwei Berichterstatter sind zur Pressekonferenz gekommen. Kein Kamerateam dreht im Plenum Bilder. Obwohl es schöne Motive gibt: Piratenhüte, Männer mit Kopftüchern und schrille Haarschleifen.

Die gekommen sind, wollen den miesen Trend umkehren. Hubert Pfeilsgraf, 62, grauer Pferdeschwanz, Finanzbuchhalter aus Wuppertal, bedauert, dass die Partei so „untergegangen“ sei. „Aber die Hoffnung stirbt zuletzt“, macht er sich Mut. „Der Wuppi“ heißt er bei seinen Parteikollegen. „Alias“, „Frodo“, „Wicki“, hier hat jeder seinen Netznamen.

„Kai Boxberg“, 17 Jahre jung, Abiturient aus Gladbach, findet es ganz normal, dass es nach dem Hype der NRW-Landtagswahl 2012 – die Piraten erzielten dort knapp 8 Prozent – erst mal bergab ging. „Das war bei den Grünen damals genauso“, sagt er. Zusammen mit dem 14-jährigen „Denis Tyro“ aus Aachen will er dafür kämpfen, dass das Mindestalter für Parteimitglieder „auf 10, 12 oder 14 Jahre“ abgesenkt wird. Dieser ist nicht ganz so optimistisch wie sein Kumpel. „Wenn’s so weitergeht, geht’s nur noch runter“, sagt der und steuert auf seinem Bildschirm einen Pinguin eine Schneepiste hinunter.

Alle haben hier einen Laptop vor sich, denn die Antragstexte – „Module“– stehen im Netz und werden weder vorgetragen noch ausgelegt. Der Bundesvorstand hat einen „Root-Antrag“ eingebracht, einen Leitantrag. Die Piraten als Partei des digitalen Wandels treten ein für die Freiheit im Netz und gegen die Überwachung durch Staaten und Konzerne. Sie fordern ein Bundesministerium für Datenschutz. Sie sind gegen die Aushöhlung des Asylrechts und für ein bedingungsloses Grundeinkommen.

In der Debatte hat der Root-Antrag keinen leichten Stand, auch weil er nicht von unten, sondern „top down“, vom Vorstand, eingebracht worden sei. Das passe nicht zu einer basisdemokratischen Partei. Auch in der Debatte über das neue Grundsatzprogramm quält sich die Partei durch Formalien. Wie stimmen wir ab? Was ist, wenn einzelne Module durchfallen? Die Themen-AGs der Partei haben zwölf „Module“ aus dem bestehenden Programm entwickelt. „Knackiger und kürzer“ soll es werden, aber kein Jota an den Grundsatzpositionen gestrichen. Am Ende finden das neue Grundsatzprogramm als auch der „Root-Antrag“ eine Mehrheit, und der Bundesvorsitzende Stefan Körner kann vorzeitig entlassen werden – zu seiner Familie in der Oberpfalz, denn er ist am Vortag zum dritten Mal Vater geworden.

Christoph Schmidt-Lunau