Was ist noch sicher?

Irritiert Die Asylpolitik vergangene Woche war verwirrend. Ist Kretschmann noch ein Grüner? Ist Merkel jetzt links? Und ist Marokko wirklich sicher?

Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg Foto: dpa

Ärgerliche Form

betr.: „Hinter dem Spektakel“, taz vom 15. 2. 16 und „Kretschmanns Asyl-Offerte“, taz vom 16. 2. 16

Das Baden-Württemberg- und Kretschmann-Bashing nimmt nun wirklich abstruse, ärgerliche und nicht mehr ernstzunehmende Formen an: Ulrich Schulte konstatiert am 15. 2., dass Kretschmann wie ein Weltmeister abschieben lässt und seinen ganzen Landtagswahlkampf auf vorbehaltloser (!) Merkel-Bewunderung aufbaut. Welche Rechnungen werden denn da in solch schlecht informierter Weise beglichen? Und Stefan Reinecke (16. 2.) fragt in seinem Artikel: „wenn heute Marokko als sicher gilt, warum nicht morgen Afghanistan?“. Wenn Marokko mit Afghanistan vergleichbar ist, dann können wir uns ja demnächst auch auf ein taz-Reise-Angebot nach Afghanistan freuen. Absurd! Ich wüsste gern, was die immer kompetent aus Nordafrika berichtende Edith Kresta dazu meint. Ich kenne aus meiner Arbeit viele Länder in Subsahara-Afrika, Nordafrika und Nahem/Mittlerem Osten ganz gut. In Marokko gibt es – vergleichbar mit Tunesien – eine sehr lebendige Zivilgesellschaft (Frauenrechte, Menschenrechte). Die kritische Presse (z.B. Le Maroc tel qu’il est) ist zwar immer wieder mal unter Druck, aber erscheint seit vielen Jahren mit sehr tabubrechenden Artikeln. Wenn Marokko kein (relativ) sicheres Herkunftsland ist, dann sind 90 Prozent der Länder in Afrika und auch Asien nicht sicher. In nahezu ganz Afrika sind Menschen mit nichtheterosexueller Orientierung – zum Teil lebensgefährlich – bedroht. Und auch wer politisch abweichender Meinung ist, braucht Mut und riskiert unter Umständen sein Leben; in Thailand wandert ins Gefängnis, wer nur den Hauch einer Kritik am Königshaus übt, in Indien, Nepal, Bangladesch ist Gewalt gegen Frauen extrem verbreitet. Die Liste ist beliebig fortsetzbar. Was die angeblich weltmeisterverdächtige Abschiebepraxis Kretschmanns angeht, so vermeldeten meines Wissens zahlenmäßig Bayern, NRW und Hessen die meisten Abschiebungen; im Verhältnis zur Zahl der aufgenommen Flüchtlinge Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Come on, informiert euch doch anständig, anstatt solche Rundumschläge zu verbreiten, die der taz echt nicht würdig sind.

SIEGRID TAUTZ, Heidelberg

Ihm was husten

betr.: „CSU lehnt Kretschmann-Deal ab“, taz.de vom 16. 2. 16

Mag ja sein, dass Kretschmann „seine“ potenziellen Wähler zu kennen meint. Er glaubt offensichtlich an ihren klammheimlichen Paternalismus, sonst würde er die „weniger als 20.000 Menschen“ (2? 10? 50?) nicht in Stellung bringen gegen die, die später kamen. Er nimmt wohl an, dass es so manchem Deutschen reicht, billig das eigene Gewissen zu beruhigen. Konkrete Verbesserungen bietet er gar nicht erst an. Herr Kretschmann möchte offenbar nicht ganz allein bleiben mit seiner Rückgratlosigkeit. Wäre ich Grünen-Wählerin, würde ich ihm etwas husten, denke ich. Was hält der Kerl von mir? Was aber Stephan Mayer angeht, sagt mir sein Name zwar nichts, ich glaube aber trotzdem, dass der Mann Herrn Kretschmann einen Gefallen tut. Er hindert ihn daran, sich selber zu belügen. Man sollte Menschen nicht gegeneinander ausspielen. Das rächt sich früher oder später, wenn auch nicht immer an den „Spielern“. Und unter Zwang sollte man sich überhaupt nicht einlassen auf irgendwelche „Deals“. Man ist dann nicht mehr frei in seinen Entscheidungen. Nicht tragisch, wenn solche dämlichen „Spiele“ vom Gegner von Beginn an boykottiert werden. MOWGLI, taz.de

Über den Tellerrand

betr.: „Europa braucht mehr Seehofers“, taz vom 17. 2. 16

Klingt wie eine Provokation, ist aber ein Blick über den Tellerrand: Im europäischen Meinungsspektrum steht Seehofer mit der Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr nicht „rechts“ sondern „links“ außen. Ohh, wie deutschlandzentriert ist bei uns die Diskussion über das – nun wirklich europäische – Thema Asyl gelaufen. Da kann man eigentlich nur sagen: Wer die anderen Europäer verstehen und für Flüchtlinge gewinnen will, soll sich schon mal hierzulande in der Diskussion mit der AfD warmlaufen.

MARTIN LEDER, Dresden

Schutz auf Zeit

betr.: „Die Grenzen des Pragma­tismus“, taz vom 16. 2. 16

Asylrecht ist im Kern der Schutz von Leib und Leben. Es beinhaltet nicht das Recht auf Asyl in einem bestimmten Land. Es geht auch bei Asyl nicht um Wohlstand. Daher auch die Drittstaatenregelung in der EU. Und es geht um Schutz auf Zeit. Fällt der Asylgrund weg, dann auch der Asylstatus. Gegenwärtig werden die Komponenten Asyl, Einwanderung, Schutz und Wohlstand zu einem unerquicklichen Brei zusammengemengt. Das liegt vor allem an einer nicht vorhandenen Einwanderungsregelung.

THOMAS EBERT, taz.de

Das ist nicht links

betr.: „Europa braucht mehr Seehofers“, taz vom 17. 2. 16

Merkel ist keine Linke, auch nicht im Vergleich zu anderen, und Seehofer schon mal gar nicht. Was einen Linken ausmacht, was linke Politik ist, das macht sich an inhaltlichen Fragen fest und nicht am Unterschied oder der Distanz zu den Konservativen, Reaktionären und Rechtsradikalen: Merkel ist nicht mal in der Flüchtlingspolitik links. Sonst würde sie nicht mit Erdoğan zusammenarbeiten. Merkel, das sieht man in der Flüchtlingspolitik wie in der Atompolitik, sieht die Realitäten nur etwas genauer, nämlich die Flüchtlinge, die kommen werden, egal wie man die Grenzen abschottet. Diesen Kommentar werden wir in Zukunft häufig zitiert hören und lesen, und zwar gerade von den reaktionären und menschenfeindlichen Journalisten, Talkern und Politikern, die Merkel gern für die Flüchtlingsproblematik verantwortlich machen, obwohl genau die Merkel’sche und Mehrheits-EU-Politik, nämlich die Abschottung etwa der italienischen Grenze (Küste), zu dem Desaster der ertrunkenen Flüchtlinge erst geführt hat. Natürlich freue ich mich über Merkels Satz „Wir schaffen das“. Und ihren zweiten Satz, sie wolle nicht in einem Land leben, das sich um das Flüchtlingselend nicht kümmert. Aber deswegen ist sie doch keine Linke. Vielmehr sind ihre rechten Kritiker nicht nur rechts, sondern Menschenfeinde, die die Flüchtlinge zur Abschreckung lieber ersaufen lassen. Wir sollten Frau Merkel in der Flüchtlingsfrage unterstützen, aber nur soweit sie nicht – siehe Türkei – das nächste Problem schafft. Und wir sollten die Ursachen der Flüchtlingskrise benennen, insbesondere weil einige der Ursachen in der EU-Politik liegen: Neoliberalismus, volle „Reisefreiheit“ für das Kapital, nicht aber für Menschen, schon gar nicht für verfolgte oder verarmte Menschen. „Sichere Außengrenzen“, an denen Flüchtlinge ihr Asylrecht in Deutschland nicht bekommen können, weil sie vorher zurückgeschickt werden. Steuersenkungswettbewerb in Europa, dessen Befürworter und Betreiber Junker wir sogar noch zum EU-Kommissionspräsidenten gewählt haben. Und in dessen Folge Milliarden an Steuergeldern verloren gehen und sogar die reichen EU-Länder zu Steueroasen werden. HARTMUT KLEIN-SCHNEIDER, Köln