„Einen Rückfall in Kreuzberger Randale-Zeiten will keiner“

Das bleibt von der Woche Autonome wollen durchs Myfest demonstrieren, die Berlinale wirft einen Blick auf Geflüchtete, das Musikfestival Lollapalooza wird in den Treptower Park verlegt, und der Senat darf künftig vor Volksentscheiden mit Steuergeldern für seine Position werben

Flüchtlinge auf der Leinwand

Berlinale

Es war spannend zu sehen, wie die Berlinale mit dem Thema Migration umgeht

„Ich glaube nicht, dass Filme die Welt verbessern können“, sagt Gianfranco Rosi. Der Regisseur steht auf der Bühne des Berlinale-Palasts, gerade ist die Premiere von „Fuocoammare“ zu Ende gegangen. Das Publikum applaudiert euphorisch. Rosis Dokumentarfilm über Lampedusa zeigt das Nebeneinander von Inselbewohnern und Flüchtlingen, von denen Tausende nach ihrer Fahrt über das Mittelmeer auf der italienischen Insel erstmals europäischen Boden erreichen. „Filme können höchstens ein bisschen Aufmerksamkeit auf ein Thema lenken“, fügt der Regisseur hinzu.

Rosis Film läuft im Wettbewerb, und er hat durchaus Chancen auf den Hauptpreis: den Goldenen Bären, der an diesem Samstag verliehen wird. Denn die Berlinale rühmt sich stets als politischstes aller großen Filmfestivals. Deswegen war mit Spannung erwartet worden, wie sich die am Sonntag nach elf Tagen zu Ende gehende 66. Ausgabe dem Umgang mit Flüchtlingen nähert. Keine leichte Aufgabe, denn alle Filme, die gezeigt wurden, waren bereits in der Mache, als Migration im vergangenen Spätsommer zum Topthema wurde.

Mehreren kleinen Produktionen in der Reihe Forum gelang das noch eindrucksvoller als Rosi. Sie veränderten die Perspektive, zeigten einen anderen Blick auf und sogar von Flüchtlingen. Selbst wenn „Fuo­coammare“ nicht gewinnen sollte: an Aufmerksamkeit für das Thema fehlte es nicht. Ob diese über das reine Filmpublikum hinausreicht, ist indes eine ganz andere Frage. Bert Schulz

Rettendie Autonomen das Myfest?

1. Mai in Kreuzberg

Die Linksradikalen haben den Druck auf Polizei und Bezirk enorm erhöht

In den letzten Jahren schien es, als entwickle sich der 1. Mai in Kreuzberg zu einem ganz entspannten Feiertag. Eine große Sause namens Myfest und viele Demos, aber keine brennenden Supermärkte und andere vermeintlich revolutionären Großtaten. Eine erfreuliche Entwicklung.

Doch nun wird die Sache komplizierter. Am Montag haben die OrganisatorInnen der "Revolutionären 1. Mai-Demonstration" angekündigt, quer durch das Myfest-Gebiet marschieren zu wollen – vom Oranienplatz die Oranienstraße hinunter nach Neukölln. Weil das Myfest ja eh ausfalle, so ihre Argumentation.

Tatsächlich ist unklar, ob das Myfest dieses Jahr stattfindet. Nach der Klage eines Anwohners hatte sich herausgestellt, dass das Fest schon lange nicht mehr den Status einer politischen Versammlung hat. Während bei einer Versammlung die Polizei für die Sicherheit sorgen muss, ist das bei einem Straßenfest Sache des Veranstalters. Anmelder des Myfests ist seit Jahren der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, der sich seiner Rolle offenbar nicht bewusst war. Alleine will er die Verantwortung aber nicht übernehmen. Ein anderer Veranstalter ist nicht in Sicht. Es wird eng – nicht auf, sondern für das Myfest.

Aber vielleicht tut sich nun doch noch was. Mit der Ankündigung einer 20.000-Teilnehmer-Demo für "einen radikalen Bruch mit den herrschenden Verhältnissen" haben die Autonomen den Druck auf alle Beteiligten enorm erhöht. Sofort ploppen im Kopf die alten Bilder auf. Einen Rückfall in Kreuzberger Randale-Zeiten wollen weder Bezirk noch Polizei noch die AnwohnerInnen – jedenfalls die wenigsten. Also müssen sie das Myfest retten. Die Autonomen hätten besser nicht per Pressemitteilung aufgetrumpft: Am Ende sind sie es vielleicht, die eine Lösung für das Myfest bewirken und mit ihrer Demo auf ein anderes Viertel ausweichen müssen. Antje Lang-Lendorff

Der Pop im Treffen mit dem Protest

Lollapalooza im Park

Wandern scheint der neue Trendsport bei den Berliner Festivals zu sein

Doch, im Treptower Park kann man gut die Massen beglücken. Auch mit Musik. Als im September 1987 dort in der grünen Lunge der damaligen Hauptstadt der DDR Bob Dylan seinen Auftritt hatte, murrten bestenfalls ein paar alte Kader und fragten sich, ob das mit dem Protestsänger wirklich sein müsse. Die DDR war, the times they are a-changin’, wenig später Geschichte. Und mittlerweile scheint man am Park in Sachen Mitsprache und Protest doch mächtig zugelegt zu haben.

Jedenfalls startete schon Stunden später, nachdem Anfang dieser Woche bekannt wurde, dass das Lollapalooza-Festival dieses Jahr im Treptower Park stattfinden soll, eine Onlinepetition mit der Forderung, dass das nun gar nicht gehe an diesem Ort. Weil: Das Grün. Und weil man halt seine Ruhe will. Das wollen bereits einige Tausend. Gut möglich, dass es bald so viele sind, wie man bei dem Festival im September an Besuchern erwartet. 45.000 sollen es sein, um dort im Park – die Werbedurchsage – Radiohead oder Paul Kalkbrenner zu hören. Was dann in der Stimmengleichheit ein hübsches Patt ergäbe.

Natürlich muss man so ein Großfestival nicht toll finden, nur weil das für den Tourismus ein weiterer Trumpf ist, der wieder eine Menge Menschen in die Stadt lockt, die wiederum manchen hier genau das Ärgernis sind – das man aber halt auch mal aushalten könnte.

Wandern muss das gern als kultig gehandelte Lollapalooza, das 2015 seine Deutschlandpremiere am Flughafen Tempelhof feierte, weil dort nun in den Hangars Flüchtlinge wohnen. Und Wandern scheint der neue Trendsport bei den Berliner Festivals zu sein, hat doch erst vor Kurzem auch das vom Musicboard organisierte „Pop-Kultur“-Festival kundgetan, in diesem Jahr Neukölln bespielen zu wollen. 2015 feierte man noch im Berghain.

Fast scheint es, als wolle man damit an den alten Berliner Kulturkatalysator „Zwischennutzung“ erinnern und die nomadisierenden Clubs. Halt immer in Bewegung bleiben.

Dass man sich erst gar nicht an den gar zu ruhigen Gang der Dinge gewöhnt. Thomas Mauch

Kein Steuergeld für Rechte

Volksentscheide

Auch Rechtspopulisten können ein ­Volksbegehren auf den Weg bringen

Es passt vielen nicht, was die rot-schwarze Koalition am Montag auf den Weg gebracht hat: Dass der Senat vor Volksentscheiden auf Steuerzahlers Kosten für seine Position werben darf, die Initiativen gegen ihn aber keine solche Unterstützung bekommen. Das war nämlich bislang anders: Da durften allein die Parteien, die die Regierung stellen, Geld für Werbekampagnen ausgeben, dem Senat selbst war das weitgehend verboten.

Das kann einem tatsächlich erst mal schräg vorkommen. Ganz falsch ist es allerdings nicht, was da nun passieren soll. Denn Gegner der jeweiligen Regierungspolitik ist nicht immer nur die edle, kleine Bürgerinitiative mit wenig Geld auf dem Konto: Auf der anderen Seite kann durchaus eine Gruppe stehen, die finanziell gut versorgt ist. Das war bei Berliner Volksbegehren bereits zwei Mal der Fall, bei der gescheiterten Offenhaltung des Flughafens Tempelhof und beim Streit über verpflichtenden Religionsunterricht unter dem Titel „Pro Reli“.

Und gar nicht auszuschließen ist, dass Rechtspopulisten mit viel Geld ein Volksbegehren gegen Flüchtlinge auf den Weg bringen. Da ist es durchaus vorteilhaft, wenn ein Senat, welcher Zusammensetzung auch immer, auf Augenhöhe kontern kann. Dann ist die Regierung als Verfassungsorgan auch nicht von Goodwill und Kassenlage ihrer Parteien abhängig, die laut Grundgesetz bei der Willensbildung des Volkes nur mitwirken.

Wer Geld auch für die Initiatoren eines Volksbegehrens fordert, muss im Hinterkopf haben, dass auch solche Rechtspopulisten staatliche Unterstützung reklamieren könnten. Das ist zwar über Abgeordnetendiäten auch der Fall, wenn es solche Parteien ins Parlament schaffen. Aber mit Steuergeldern unter Umständen eine Kampagne gegen Migranten bezahlen zu müssen, ist schon eine sehr gruselige Vorstellung. Stefan Alberti