Münchner Sicherheitskonferenz

Das europäische Projekt drohe zu verschwinden, und die Debatte in der EU sei vergiftet, warnten Valls und Steinmeier am Wochenende

Frankreich macht nicht mit

Flüchtlinge I Premier Valls beklagt in München europäische Egoismen – und lehnt die Aufnahme weiterer Schutzsuchender ab. Unklar bleibt, wie die Türkei auf die Nato-Mission in der Ägäis reagieren wird

von Pascal Beucker

Wer wissen will, wie es um Europa bestellt ist, dem lieferte der Auftritt von Manuel Valls an diesem Wochenende ein beredtes Beispiel. Auf der großen Bühne der Münchner Sicherheitskonferenz beschwor Frankreichs Premier das europäische Projekt: Das könne „vielleicht sogar ganz verschwinden, wenn wir nicht aufpassen“. Statt „egoistischer Bestrebungen“ bedürfe es „mehr Europa, um dieser Herausforderung zu begegnen“.

In kleiner Runde erteilte er der Hoffnung der Bundesregierung, die Syrien-Flüchtlinge solidarisch zu verteilen, eine klare Absage. Mehr als die 30.000 Menschen, deren Aufnahme Paris im Rahmen der vor Monaten vereinbarten Verteilung von insgesamt 160.000 Flüchtlingen zugesagt hat, will es nicht ins Land lassen. „Mehr wird Frankreich nicht nehmen“, sagte Valls bei einem Hintergrundgespräch vor einem Kreis ausgewählter Journalisten am Samstag: „Wir sind nicht für einen dauerhaften Umverteilungsmechanismus.“ Und weiter: „Frankreich lehnt dies ab.“

Damit gerät die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in eine missliche Situation. Ihre Pläne, die Blockade innerhalb der EU mit einer „Koalition der Willigen“ zu umgehen und der Türkei bei der direkten Übernahme von Flüchtlingen entgegenzukommen, werden damit torpediert.

Mit den Staats- und Regierungschefs von dreizehn anderen Ländern, darunter auch Frankreich, will sich Merkel eigentlich am kommenden Donnerstag – vor Beginn des regulären EU-Gipfels – auf die Grundzüge eines von der Türkei geforderten „Umsiedlungsprogramms“ verständigen.

Dieses in der Größenordnung noch unklare „Programm“ gilt jedoch als ein entscheidendes Kriterium für die Bereitschaft der Türkei, die Kontrollen in der Ägäis zu verstärken und im Rahmen des Nato-Einsatzes in der Ägäis aufgebrachte Flüchtlinge wieder aufzunehmen.

Vielleicht gibt es daein Missverständnis

Allerdings ist die türkische Zusage ohnehin wohl nicht so eindeutig und weitgehend, wie es die Bundesregierung darstellt. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) behauptet zwar, Ankara habe bei den Verhandlungen am vergangenen Mittwoch „sofort eingewilligt“, dass „alle“ aus der Türkei kommenden Flüchtlinge „wieder in die Türkei zurückgebracht werden“.

Dagegen meinte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu am ersten Abend der Sicherheitskonferenz, ­etwas richtigstellen zu müssen: „Vielleicht gibt es da ein Miss­verständnis hinsichtlich der Rolle der Nato-Mission in der Ägäis.“ Die Nato werde die tür­kische Küstenwache informieren, „wenn es einen Vorfall im türkischen Seeraum gibt“. Mit Griechenland werde das „genauso“ gemacht, „wenn es er­forderlich ist, Menschen zu retten“.

Es ist dies eine Aussage mit Sprengkraft. Da Schiffe der griechischen Küstenwache nicht die türkische Küste anlaufen dürfen, würde es vom jeweiligen Hoheitsgewässer abhängen, an welches Ufer es ein von der Nato in Seenot identifizierter Flüchtling schafft – ob er also wieder in der Türkei landet oder doch nach Griechenland gelangt.

Interessant wäre zu wissen, wie die griechische Regierung das sieht. Doch die war erstaunlicherweise auf der Münchner Sicherheitskonferenz nicht vertreten.

Wessen Wort gilt nun, das der deutschen Verteidigungsministerin oder das des türkischen Außenministers? Das wird sich bald in der Praxis zeigen – wenn der unter dem Kommando des deutschen Flottillenadmirals Jörg Klein stehende „2. Ständige Marineverband“ der Nato seine Mission in der Meerenge zwischen der Türkei und Griechenland in den kommenden Tagen begonnen hat.

Von den 160.000 in Griechenland und Italien gestrandeten Flüchtlingen, auf deren Verteilung in den kommenden zwei Jahren sich die EU-Staaten im vergangenen Herbst nach schwerem Ringen verständigt hatten, haben bislang erst 481 tatsächlich eine neue Heimat gefunden.