Die Tücken der Nikotinsucht

SCHACH Der Weltverband kennt keine Gnade mit Rauchern: Das bekommen die chinesischen Spitzenspieler Wang Yue und Li Chao zu spüren, die sich beim Weltcup im Ural eine längere Rauchpause gegönnt haben

VON HARTMUT METZ

Buchstäblich in Rauch lösten sich die Hoffnungen von Wang Yue und Li Chao auf, den Schach-Weltcup zu gewinnen. Die beiden chinesischen Großmeister gönnten sich in der Verlängerung der dritten Runde zur Entspannung eine Raucherpause. Als sie ihren letzten Zug genommen hatten, kamen sie ein paar Sekunden zu spät zurück ans Brett zum ersten Zug – und verloren ihre Partien. Das kam sie teuer zu stehen, denn statt mit bis zu 96.000 Dollar Preisgeld traten die beiden Nikotinsüchtigen den Heimflug aus dem Ural nach Peking mit nur 12.800 Dollar an.

Um die Akteure zur Pünktlichkeit zu erziehen, hat der Schach-Weltverband Fide die Wartezeit auf den Gegner abgeschafft. Bis 2008 konnte man den Kontrahenten auf Kosten seiner Bedenkzeit bis zu einer Stunde sitzen lassen. Wang Yue und Li Chao kostete zusätzlich ein alter Bannstrahl die Chance auf den Sieg beim mit 1,28 Millionen Dollar dotierten Weltcup in Chanty-Mansijsk: Seit Anfang der 80er-Jahre dürfen beim Denksport nur noch die Köpfe rauchen. Zuvor hatten sich gemütliche, dickliche Herren oft darin gefallen, dem Gegner die Sinne zu vernebeln, auf dass er hinter den Schwaden kaum mehr die eigenen Figuren entdecken konnte. Als das Rauchverbot eingeführt wurde, war der Aufschrei groß – die Widersacher fürchteten herbe Mitgliederverluste und gar mancher bangte ernsthaft um seine Figur, müsse er auf den Glimmstängel während der oft fünf-, sechsstündigen Partien verzichten.

Anekdoten ranken sich um den blauen Dunst über den karierten Feldern. Emanuel Lasker wurde häufig mit dicker Zigarre am Brett abgelichtet. Der Weltmeister von 1894 bis 1921 gilt noch heute bei vielen Fans als Erfinder der psychologischen Kriegsführung; am Brett soll Lasker nur die allerbilligsten Zigarren geraucht haben. Gesundheitsapostel Aron Nimzowitsch geriet schon außer sich, wenn Lasker das Zigarettenetui nur öffnete. Seinen Rivalen Milan Vidmar hatte er beim Turnier 1927 in New York gebeten, nicht zu qualmen. Dieser stimmte zu, sofern er nicht in eine schlechte Stellung geriete. Nur dann sollte die neben dem Brett abgelegte Zigarre Ablenkung bieten. Der deshalb völlig kopflose Nimzowitsch unterlag sang- und klanglos und beschwerte sich beim Schiedsrichter über Vidmar. Der Unparteiische sah indes keinen Anlass zur Klage, doch Nimzowitsch rechtfertigte diese mit seinem brillantesten Schach-Lehrsatz: „Die Drohung ist stärker als ihre Ausführung!“

Um derlei Bedrohung nicht fürchten zu müssen, wappnete sich Weltmeister Michail Botwinnik schon im Trainingslager gegen den feindlichen Rauch. Der Begründer der sowjetischen Schachschule ließ sich in Trainingspartien vor den WM-Duellen den Qualm ins Gesicht blasen, um im Ernstfall unbeeindruckt seine Denkprozesse fortsetzen zu können.

Heutzutage leiden nur noch die Raucher, wenn sie sich im Winter bei Eiseskälte vor dem Turniersaal zusammenrotten, um ihrem Laster zu frönen. Oft müssen sie zusätzlich am Brett zittern, weil die dauernden Ausflüge wertvolle Bedenkzeit kosten. Wang Yue und Li Chao kamen im Ural zu spät aus ihrem immerhin geheizten Raucherraum zurück. Die Unglücksraben verschenkten nach jeweils einem Remis mit den schwarzen Steinen ihren Aufschlag mit Weiß. Danach bauten der Franzose Etienne Bacrot – selbst Kettenraucher, aber pünktlich zu allen Partien im Saal – und der topgesetzte Weltranglistensechste Wugar Gaschimow (Aserbaidschan) ihren Vorsprung zum 2,5:0,5-Endstand aus. Der deutsche Spitzenspieler Arkadij Naiditsch aus Baden-Baden verpasste zeitgleich durch ein 2:4 in der Verlängerung gegen den Russen Peter Swidler das Achtelfinale.

Der stoische Wang Yue haderte nicht ob der kampflosen Niederlage. „Die Entscheidung war vollkommen korrekt. Wir sprachen mit dem Hauptschiedsrichter, der empfahl uns, sich damit abzufinden und rasch auf die nächste Partie vorzubereiten – ein weiser Ratschlag.“ Nur sein Kumpel tat dem Weltranglistensechzehnten besonders leid: „Li fing erst hier mit dem Rauchen an, um mir Gesellschaft zu leisten“! Auf die Frage, ob er Lehren ziehen werde und künftig gesünder leben wolle, antwortete Wang Yue trotzig: „Nach solch einem Schock denkt man nur daran, eine besonders lange Zigarettenpause zu machen!“