Die Kindermörder und die Angst am Nil

Die vom Internationalen Strafgerichtshof gesuchte „Widerstandsarmee des Herrn“ (LRA) aus Uganda weitet ihren Kampf aus: von Sudan nach Kongo, vom Norden Ugandas in den Westen. Ugandas Armee rüstet auf, die Zivilbevölkerung ist auf der Flucht

AUS ADJUMANI MARC ENGELHARDT

An der Nilfähre staut sich der Verkehr. Zwischen den brüchigen Holzhütten von Adjumani, wo Händler Kaltgetränke und frischen Fisch umschlagen, patrouillieren Soldaten. Die Maschinengewehre im Anschlag, durchsuchen sie jeden der Lastwagen, die aus Kongo und dem Südsudan kommen. Die Militärs sind auf der Jagd nach Rebellen der „Widerstandsarmee des Herrn“ (LRA). Der Weiße Nil ist breit hier im äußersten Nordwesten Ugandas. Doch trotz der Kontrollen schaffen es LRA-Kämpfer seit einigen Monaten immer wieder, den Strom zu überqueren.

Noch vor kurzem, erinnert sich Adjumanis Verwaltungschef Nixon Owole, gab es in Adjumani kaum Probleme mit den brutalen LRA-Rebellen des selbst ernannten Propheten Joseph Kony. Sie suchten den Distrikt Gulu heim, weiter östlich. „Aber jetzt haben die Rebellen ihre Angriffe hierher verlagert“, konstatiert er. Erst vor ein paar Wochen fielen die Rebellen über einen Hof in der Nähe her. Ein Mädchen starb, weil seine Leber mit einer Machete aufgeschnitten wurde.

Ugandas Regierung hat als Antwort zusätzliche Truppen entsandt. An der Grenze nach Kongo in Arua sind Panzerfahrzeuge aufgefahren. Doch im meterhohen Gras, das die weiten Ebenen dieser schwül-heißen Grenzregion bedeckt, verschwinden die Buschkämpfer meist so spurlos, wie sie gekommen sind.

Jahrelang hatten Konys Truppen ihre Lager im Sudan. Die Regierung in Khartum schützte sie, um dem Erzfeind, der südsudanesischen Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA), das Leben schwer zu machen. LRA-Kindersoldaten überfielen nachts Dörfer in Norduganda, steckten sie in Brand, mordeten, vergewaltigten und entführten Kinder. Doch jetzt haben Sudans Regierung und SPLA Frieden geschlossen. Und spätestens seit LRA-Rebellen auch Dörfer mitten im Südsudan überfallen haben, hat Khartum die Jagd auf Konys Truppe eröffnet. Die LRA ist auf der Flucht: in den Nordosten Kongos. Von dort setzt sie die Überfälle wie gewohnt fort.

Unter den Bewohnern des Distrikts Adjumani haben die neuen Gräuelgeschichten Panik ausgelöst. 32.000 von ihnen sind allein in diesem Jahr geflohen. Manche suchen Zuflucht in der Stadt. Dosita Karakwe erzählt, wie die LRA im März ihren Hof überfiel. Es war früher Morgen, die Sonne ging gerade auf. Mit ihren dreijährigen Zwillingen rannte Dosita in den Busch. Als sie sich am Abend zurückwagte, waren alle Hütten niedergebrannt. Was mit ihrem Mann passiert ist, weiß sie nicht. Jetzt lebt die 38-Jährige mit Bekannten in Adjumani. „Ganz in der Nähe fahren die Armeekonvois Richtung Gulu ab, hier haben die Soldaten ein Auge auf uns“, sagt sie. Auf ihren Hof will sie nicht zurück, obwohl sie dringend ihr Land bestellen müsste. Lieber, so sagt Dosita, leidet sie Hunger als Todesangst.

Über eine Stunde Fahrt entfernt steht die Schule von Lewa. In den flachen Betonbauten leben gut 5.000 Binnenflüchtlinge. In den voll gepackten Klassenräumen ist nur Platz für die Mütter und Kinder. Die anderen schlafen draußen. Der einzige Brunnen leckt, es gibt nur zwei Latrinen. Zur nächsten Gesundheitsstation muss ein gesunder Mensch mehr als eine Stunde laufen. „Die Behörden helfen uns nicht, weil sie keine Lager im Distrikt haben wollen“, erklärt James, den die Flüchtlinge zu ihrem Anführer gewählt haben. Im Mai kam eine Lieferung mit Nahrung an. Das war bislang alles.

Ugandas Präsident Yoweri Museveni setzt im Kampf gegen die LRA auf die „Operation Eiserne Faust“: Ugandische Truppen dürfen seit kurzem tief in den Sudan vordringen. Das gleiche Recht fordert Museveni nun auch für den Kongo. Doch die Regierung in Kinshasa ist strikt dagegen. Dass die US-Armee Museveni in seinem Drängen unterstützt und dem Vernehmen nach Elitesoldaten in die rohstoffreiche Region mitschicken will, macht die Verhandlungen nicht leichter.

Adjumanis Sicherheitschef Fabian Mbea, der die Polizei kommandiert, aber nicht die Armee, hält von den martialischen Plänen aus Kampala wenig. Wie Terroristen gingen die Rebellen vor, meint er: „Die machen ein Angriffsziel aus und gehen in Zivil mitten auf der Hauptstraße dorthin, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.“ Zudem sei die LRA heute nicht mehr nur die alte Kony-Armee. Auf ihrem Marsch nach Westen hätten sich andere Exbürgerkriegsmilizen der LRA angeschlossen oder operierten unter ihrem Namen, Hintermänner unbekannt. „Gegen solche Gegner wird eine Operation Eiserne Faust ins Leere schlagen.“