Im Anwohnerpark

MANJA PRÄKELS

Teil 22: Der Sturm zerreißt die Segel

Django?“ Stille. Selbst die Vögel waren fort.

„Wissen Sie vielleicht, wo Django wohnt?“

„Welcher Django?“

„Ach, schon jut.“

Die anhaltenden Böen hatte einen mächtigen Ast von der Kastanie geschüttelt. Der war krachend auf dem alten Pflaster zersplittert und hatte dabei das letzte der überlebenden Rotdornbäumchen geköpft. Traurig ragte ein Rest des schmalen Stammes in den Hinterhof des letzten unsanierten Hauses. Die Schlote pusteten unablässig schwarze, ineinander verknäulte Fäden hervor. Hildegard holte tief Luft. Obwohl sie ihre alte Kohlenheizung nicht vermisste, stimmte sie der Geruch wehmütig. Die Wirtin des blaulichtgenannten Etablissements von gegenüber stand unschlüssig und etwas außer Atem im Hof herum. Wo wohnte er nur, der oft verfluchte Stammkunde und beste Gitarrist der Welt? Sie war jedes Treppenhaus bis ganz nach oben gestiegen, hatte an Klingelschildern gekratzt und im Halbdustern die Kritzeleien auf den verkommenen Haustüren zu entziffern versucht. Doch weder dort noch auf einem der Briefkästen hatte sie den Namen entdecken können. Auch anrufen brachte nichts. Der Kerl ging einfach nicht ans Telefon! Mist.

„Habt ihr schon gehört? Von der Vergewaltigung?“

„Soll aber keiner aus unserer Turnhalle gewesen sein.“

„Na, ich hab was anderes gehört ...“

Annes Stimmung erreichte einen neuen Tiefpunkt. Seit ihrer Rückkehr dieses Gerede. Wie müde dabei alle aussahen. Wie resigniert. Ein paar der Frauen waren bereits abgesprungen. Das schlimme Gerücht um Lale hatte sich vollkommen verselbständigt. Zum Glück war wenigstens Nura wieder da. Nur ihrer verfrühten Rückkehr aus Taschkent war es zu verdanken, dass der Bioladen wieder lief, Anne sich in Runden wie diese einklinken und vermitteln konnte. Aber: Wollte sie das eigentlich?

Die Schäden, die die stürmischen Tage und Nächte in der kleinen Straße nordöstlich des Alexanderplatzes hinterlassen hatten, hielten sich in Grenzen, was kaum zu glauben war, so laut, wie es geheult und gescheppert, an Bäumen, Dächern und Türen gezerrt hatte. Die Fahrradständer vom Supermarkt waren auf die Straße geflogen, ein paar Müllcontainer umgekippt, sonst nichts. Bis auf die Baustelle. Lustlos besahen die Arbeiter das Malheur. Eine der riesigen Planen, die die schmucken Fassaden der Gründerzeitbauten verdeckt hielten, hatte der Wind so lange zu einem mächtigen Segel aufgebläht, bis sie riss. Erst der Unfall, dann die lange Winterpause und nun das doch: Die Männer begannen, die Kollegen zu beneiden, die sich in letzter Zeit abgemeldet hatten. Containerbau, Sicherheitsfirmen – überall wurden Leute gesucht. Der Vorarbeiter brüllte ihnen, von der Kaufhalle kommend, zu:

„Wat steht ihr so blöd rum, ihr Arschlöcher!“

So gern Nura wieder zurück in Berlin war: Die dunkle Wolke wollte nicht aus ihrem Kopf verschwinden. Sie hatte gehofft, einfach wieder zurückschlüpfen zu können, hinein in ihren Alltag als Studentin der Agrarwissenschaften, Mitbewohnerin und Aushilfskraft in Annes Bioladen. Aber seit dem Gespräch mit ihrem Vater erschien nichts mehr so wie vorher. Und die Mutter, die ehemalige Traktoristin und verdiente Werktätige des Volkes, hatte stumm dabei gesessen und an ihrem Kopftuch herumgespielt.

„Ein Früchtemüsli und einen Latte bitte!“

„Geeerrrn. Seeetzen Siiieee siiieeechr dooooochr.“

Beim Barte des Schneeleoparden: Wie sie ihren Akzent hasste! Und erst ihren Vater!

Nebenan im blaulichtwaren die ersten Gäste eingetrudelt. Hildegards Stammkunden ließen sich weder vom Wetter noch von irgendwelchen Feiertagen davon abhalten, einzukehren. Die besten Tresenplätze waren ihnen gewiss.

„Bei uns hieß dit Fasching.“

„Is doch wurscht, wie dit heißt. Is jednfalls Blödsinn.“

„Peinlich.“

„Traurich.“

„Religiöse Reste.“

Hildegard hatte keine Lust, Lolle und seinem neuen Trinkpumpan Mücke zuzuhören, auch, wenn dieser Mücke ganz stattlich gebaut war und ihr ständig in den Ausschnitt schielte ...

„Dit is mir allet so ejal, dit ignorier ick nichmal.“

Verblüfft hielten die beiden inne, da traten Starsky und Hutch durch die Tür, schritten zielstrebig auf die Wirtin zu und hielten ihr die Dienstausweise vors Gesicht.

Foto: Nane Diehl

Manja Präkels,Jahrgang 1974, schreibt, singt und tourt mit ihrer Band Der Singende Tresen. Soeben erschien beim Verbrecher Verlag die von ihr mit Markus Liske herausgegebene Textsammlung „Vorsicht Volk!“. Seit 2009 betreiben die beiden die Gedankenmanufaktur WORT & TON. Ihr Romandebüt „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ erscheint 2016.

Illustriert wird die „Im Anwohnerpark“-Serie von Maria MacDonald, cargocollective.com.

„Hätten Sie einem Moment Zeit für uns. Es geht um die Explosion ...“

Der Chauffeur saß bleich auf einem Klappbett ohne Bezug. Es war das einzige Möbelstück in der leeren Zelle. Anstelle eines Klodeckels grinste ihn die blanke Schüssel an, kalt und metallisch. Warum war er hier? Die Hand tat weh. Sie war frisch verbunden, doch konnte er sich nicht daran erinnern, in einem Krankenhaus gewesen zu sein. Draußen im Gang näherten sich Schritte. Irgendwer blieb stehen, lauschte und ging weiter. In der Ferne konnte er jemanden schreien hören. Letzte Nacht hatte diese Stimme schon mal geschrien. Hatte ihn wach gehalten. Bis er selbst anfing, zu schreien. Warum war er hier?

„Haste noch’n Pfiff für mich?“

„Und zwei Klare. Scheidebecher.“

Fritzes schlechtes Gewissen hing ihm schwer in den Mundwinkeln. Er hatte der Chefin nichts von der alten Gegenübernachbarin erzählt und hoffte inständig, es auch nie tun zu müssen. Nun zapfte er schon wieder Bier für Hilde, die unten, im Lagerraum, mit den Bullen redete. Ewig. Als die beiden endlich zur Tür hinaus marschierten, gesellte sich die Freundin zerknirscht zu ihm.

„Die haben dit Auto jefunden. Nun soll ick zur Jegenüberstellung.“

„Wie, die haben das Arschloch gefasst?“

„Na ja. Sie ham jemand ... Drück mich mal.“

Er legte seinem Arm um Hildegard und spürte, wie die Aufregung des merkwürdigen Verhörs durch ihre Knochen waberte. Sein Verlangen, sie zu küssen, war fast schmerzhaft. Draußen pochte einer an die Fensterscheibe. Django grinste wie ein Kind, das etwas ausgefressen hatte und sich nicht traute, näher zu kommen. Aus Angst vor Kloppe.