: Das Lied der Brotfrau
BACKWAREN Tanz mit teigigem Gesicht: Die Performancekünstlerin Anna Homler stellte beim CTM-Festival ihre „Breadwoman“ vor
Die Frau sieht aus wie eine osteuropäische Bäuerin. Graues grobes Leinenkleid. Ein ebenso graues wollenes Kopftuch umrahmt ihr Gesicht. Mit einem Laib Brot im Schoß sitzt sie auf der Bühne des HAU 2, und wie ein Brot sieht auch ihr Gesicht aus: Die rundliche graue Maske wölbt sich vor wie ein unregelmäßig aufgegangener Hefeteig, in dem kleine Löcher für die Augen gelassen wurden.
Diese Gestalt ist „Breadwoman“, die Brotfrau. Wie sie zu ihrem Teiggesicht gekommen ist, erfährt das Publikum des CTM am Freitagabend nicht, auch nicht, warum die vielen Brote um sie herum verstreut sind. Nun gut, auch eine Brotfrau braucht eben was zu beißen.
Hinter ihr haben eine Frau und ein Mann in diskreter schwarzer Kleidung an ihren Tischen Platz genommen, vor ihnen diverses Gerät zur Geräuscherzeugung. Der Mann ist Steven Warwick, ein Wahlberliner, der sonst unter dem Pseudonym Heatsick verspielte Elektronik produziert, die Frau ist Anna Homler, Performancekünstlerin aus Los Angeles. Die Breadwoman ist Homlers Schöpfung, ein Wesen, das sie seit einigen Jahrzehnten begleitet.
Schon in den achtziger Jahren war sie mit dem Projekt zu erleben, damals begleitet vom Musiker Steve Moshier an der Elektronik. „Breadwoman and Other Tales“ hieß ihre gemeinsame Kassette von 1982, die dieser Tage wiederveröffentlicht wird – zum ersten Mal überhaupt auf Schallplatte und CD. Die Songs der Breadwoman hießen „Ee Chê“ oder „Gu She’ Na’Di“, was irgendwie asiatisch anmutet, aber zu einer erfundenen Sprache gehört, zu der Homler auf einer Fahrt durch die kalifornische Wüste inspiriert wurde.
Dada, Politik und Utopie?
Ein wenig von asiatischer Folklore haben auch die Melodien, die Homler im HAU 2 zu den Klängen aus Warwicks Synthesizer singt. Oft bleibt die Begleitung ein sanfter Ambient-Teppich, ein bisschen verträumt, nie schmerzhaft, gelegentlich gestatten sich die beiden aber auch sonderbare bis alberne musikalische Ideen. Da rollen Kugeln durch Metallbehälter, wird expressiv mit Silikon-Handschuhen geknurpselt oder auf einem Strohhalmgebilde ein rülpsendes Brummeln erzeugt.
Was das alles mit der kostümierten Tänzerin zu tun hat, die unterdessen diverse Verrenkungen macht oder sich mit einem Mehlzerstäuber einnebelt, den sie vorübergehend auf dem Kopf balanciert, erschließt sich während des Auftritts nicht so recht. Das macht jedoch nichts.
Die durch und durch analoge szenische Darbietung hat weit mehr Unterhaltungswert als die überwiegende Mehrheit der heute so beliebten Videoprojektionen bei Konzerten. Und auch die Musik gefällt in ihrer freundlichen Außerweltlichkeit. Die rätselhafte Erscheinung, ihre rätselhaften Mitteilungen und ihre ebenso rätselhaften Aktionen behaupten sich einfach als Ereignis, das sich aus sich selbst heraus rechtfertigt.
Ob man darin eine politische Botschaft sehen will, eine Utopie gar, kann man sich hinterher selbst überlegen.
Die von ihrer Bedeutung losgelösten Laute Homlers passen jedenfalls bestens zum Dada-Jubiläum, das am selben Tag begangen wurde. Und irgendwie verlässt man den Raum nach einer guten Stunde in befreiend gelöster Stimmung, ohne sich dabei als Zuschauer nicht ernst genommen fühlen zu müssen. Tim Caspar Boehme
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