OLYMPIA Zwei Jahre vor den Winterspielen in Pyeongchang testet die Alpin-Elite mitten im Naturschutzgebiet
: Schussfahrt im heiligen Wald

Pistenraupe: Der US-Amerikaner Travis Ganong versucht, ein Gefühl für die Abfahrt in Jeongseon zu bekommen Foto: imago

aus PyeongchangFabian Kretschmer

Wer die Bedeutung der Olympischen Winterspiele für seine Gastgeber begreifen möchte, muss die Geschichte von Daniel Olomae Ole Sapit kennen: Der 42-jährige Kenianer, Vertreter halbnomadischer Massai, wurde im Herbst 2014 zu einer Konferenz über Artenvielfalt nach Pyeongchang geladen. Als Sapit das Flugzeug verließ, ahnte er noch nicht, im falschen Korea gelandet zu sein. Pyeongchang oder Pyongyang (deutsch: Pjöngjang) – wie kann man als Afrikaner den Unterschied erkennen?. Das versuchte er den misstrauischen Zollbeamten zu erklären. Nach einem fünfstündigen Verhör ließen ihn die Nordkoreaner frei.

Doch auch südlich der Demarkationslinie blieb die abgelegene Region im Taebaek-Gebirge vornehmlich dafür bekannt, sich bereits vergeblich um die Spiele 2010 und 2014 bemüht zu haben. Andere Länder hätten vermutlich aufgegeben, doch in Südkorea entwickelte sich die Winterolympia zunehmend zur nationalen Obsession. Nicht zuletzt galt es, mit dem ehemaligen Kolonialherren Japan gleichzuziehen. Der benachbarte Inselstaat bleibt bis dato der einzige Austragungsort der Winterspiele in Asien.

Falsches Versprechen

Dementsprechend euphorisch zeigte sich das Land, als der dritte Bewerbungsanlauf endlich glückte, wenn auch auf Grundlage eines falschen Versprechens: Ein angekündigter Hochgeschwindigkeitszug, der den Austragungsort in nur 68 Minuten mit der Hauptstadt Seoul verbinden sollte, war laut Medienberichten niemals wirklich geplant.

Der Bus braucht gut drei Stunden, bis er den Landstrich kurz vor der koreanischen Ostküste erreicht. Dicht bewaldete, enge Bergzüge geben den Blick frei auf einen strahlend blauen Himmel. Noch ist schwer vorstellbar, dass hier am 6. Februar bereits der Ski-Weltcup halt machen wird: Die alpine Rennstrecke Jeongseon sticht als weißer Streifen aus dem ockerfarbenen Braun der Berglandschaft heraus. Ein umso befremdlicher Anblick, da zuletzt ganz Ostasien von rekordverdächtigen Minustemperaturen heimgesucht wurde, ja selbst in Hongkong erstmals seit langen Jahren wieder Schnee gefallen war.

Designt von Ski-Veteran Bernhard Russi, ist die Strecke mit einer Länge von 2.650 Metern vergleichsweise kurz geraten, doch aufgrund einer Fülle an Steilhängen und Sprüngen technisch anspruchsvoll. Der Kurs könne locker mit den besten der Welt mithalten, sagt Günter Hujara vom internationalen Skiverband. Sein koreanischer Kollege vom Organisationskomittee, Cho Yang Ho, spricht von einem „kleinen Wunder“, dass die Bauarbeiten für die Strecke noch rechtzeitig fertig geworden sind.

Ende des Ginsengs

Für die lokalen Umweltschützer ist das nicht weniger als ein ökologisches Desaster. Wo nun die Schneekanonen pulvern, befand sich einst einer der ältesten Wälder der koreanischen Halbinsel. Bereits im 15. Jahrhundert wurde hier für den koreanischen Kaiser Ginseng angepflanzt. Aufgrund seines Status als „heiliger Wald“ überlebte er auch die exzessiven Rodungen während des 20. Jahrhunderts. 2008 wurde die Gegend schließlich in ein Naturschutzgebiet umgewandelt. Nur fünf Jahre später hob die Regierung die Bestimmung wieder auf. „Skipisten fliegen nun mal nicht vom Himmel. Leider hatten wir keine andere Strecke zur Verfügung, auf die wir hätten zurückgreifen können“, sagt der koreanische Minister für Sport, Kultur und Tourismus, Kim Jong Deok.

Tatsächlich hätte kein anderer Berghang in der Gegend die olympischen Auflagen einer alpinen Rennstrecke erfüllt. Der Vorschlag koreanischer Nichtregierungsorganisationen, den Kurs auf zwei Teilabschnitte zu verlegen, wurde vom Olympischen Komitee abgelehnt. Um die Rodungen zu minimieren, wurden erstmals in der Geschichte der Winterspiele die Kurse für die männlichen und weiblichen Athleten zusammengelegt. „Natürlich kann man die Gegend nach den Olympischen Spielen wieder kultivieren, aber 500 Jahre alte Bäume umzupflanzen ist schlicht unmöglich“, sagt der russische Forstwissenschaftler Wiktor Tepljakow, der bis vor Kurzem an der Seouler Nationaluniversität geforscht hat. Dennoch: „Gemessen an dem Ausmaß ist die Zerstörung nicht übertrieben dramatisch.“ Umweltschützer beklagen freilich, dass für ein zweiwöchiges Sportereignis ein Ökosystem auf Jahrhunderte beschädigt wird.

Wenn es nach der Lokalregierung geht, werden die Winterspiele in Pyeongchang ohnehin über das Sportliche hinausreichen: symbolische „Friedensspiele“, lautet die Vision, eine sportdiplomatische Annäherung an den nördlichen Nachbarn. So sollen die Teams der beiden Koreas während der Eröffnungszeremonie gemeinsam einlaufen und im Vorfeld dieselbe Trainingsstätte benutzen: das Masikryong Skiressort in Nordkorea. Trotz strenger Sanktionen konnte der sportbegeisterte Diktator Kim Jong Un Ende 2013 damit das erste Wintersportzentrum des Landes eröffnen. Die Pläne von den Friedensspielen werden derzeit vom südkoreanischen Wiedervereinigungsministerium geprüft, gelten jedoch in der konservativen Regierung als umstritten.

In Pyeongchang ist Nordkorea näher als in anderen Teilen der Region. Das liegt nicht nur an der geografischen Lage (zur Grenze sind es keine 80 Kilometer), sondern hat vor allem mit der jüngeren Geschichte der Region zu tun. Das Gros der Bewohner am Taebaek-Gebirge sind einstige Flüchtlinge, die sich nach dem Koreakrieg in den 50er Jahren in den Bergen niederließen, um ihrer einstigen Heimat möglichst nah zu sein. Nur wenige von ihnen sind noch am Leben, die sich an ein geeintes Land erinnern können. Für sie symbolisieren die Olympischen Spiele viel mehr als nur die Jagd nach Goldmedaillen.