Berliner Szenen: Nächtliche Klingelorgien
Dauerfeuer
Vor einiger Zeit hat es mindestens ein halbes Dutzend Mal bei mir Sturm geklingelt, stets weit nach Mitternacht und immer am Wochenende. Es war kein einfaches Klingeln unten an der Haustür gewesen, sondern eine Art penetrantes Dauerfeuer. Weil um diese Zeit weder Pakete noch andere wichtige Sendungen zugestellt werden und weil ich weiß, wer mich wann besuchen kommt, habe ich das Klingeln, so gut es ging, ignoriert und bin jedes Mal einen kleinen Heldentod gestorben. Mir wäre es im Traum nicht eingefallen, an der Gegensprechanlage zu fragen, wer da ist.
Wollten finstere Gestalten checken, ob jemand zu Hause war? Oder war es Gert Postel, der Postbote, der sich jahrelang als Psychiater ausgab und dem ich meine Adresse gegeben hatte, damit er mir sein Buch zuschicken konnte? Vor einigen Jahren hatte ich einen Anruf von dem Hochstapler bekommen, der nicht wenigen Frauen und sogar einer Staatsanwältin den Kopf verdreht hatte. Ich hatte seine Einladung „zu Wein und Essen“ ausgeschlagen und auch das Angebot, „von Autor zu Autor zu plaudern“. Seine Eitelkeit und Selbstverliebtheit waren unerträglich gewesen, und das hatte ich ihm auch ganz direkt gesagt. Gefallen hatte ihm das natürlich nicht.
Mir waren die nächtlichen Klingelorgien so unheimlich, dass ich mit dem Gedanken spielte, die Schlafzimmertür abzuschließen, bevor ich schlafen ging. Ich habe das dann doch nicht getan, weil es mir albern vorkam, mich in meiner eigenen Wohnung zu verbarrikadieren. So plötzlich, wie die Klingelei angefangen hatte, so plötzlich war sie auch wieder vorbei. Deshalb ist aber noch lange keine Ruhe eingekehrt. Seit einigen Tagen prangt ein Schriftzug rechts neben der Haustür. Mit schwarzer Farbe hat jemand auf die unschuldig weiße Wand das Wort „Hure“ gesprüht.
BARBARA BOLLWAHN
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