Ländersache Schnaps auf der Grünen Woche, traurige Taxifahrten und die Clubkultur von heute
: Jung, wild und volle Kanne crazy

Ausgehen und Rumstehen

Juri Sternburg

Traurig und still schlich er dahin, der Abstinenzmonat Januar. Die Clubs so leer wie ein Fan-Treffen von Helena Fürst, die Fitnessstudios voller als Franz Josef Wagner. Das ergab doch alles keinen Sinn. Plötzlich musste man sich irgendwelche merkwürdigen Beschäftigungen suchen. Zum Beispiel Ausstellungen mit zeitgenössischen Fotografien besuchen. Oder zur Grünen Woche gehen und vertrocknete Häppchen abstauben. Das zweite Unterfangen stellte sich leider als Flop heraus, denn offensichtlich war der Großteil der Besucher hier, um sich zu betrinken. In jedem Bundesland ein Schnaps, und die Welt ist wieder in Ordnung. Auch in Sachsen.

Missmutig verdrückte ich mich in Halle 17, wo die lebenden Tiere in Gehegen darauf warten, geschlachtet zu werden. Sie würden mich eventuell besser verstehen, als die versammelten Kegelclubs aus der Republik. All die guten Vorsätze sind ja äußerst löblich, aber wer denkt an die Barkeeper, Taxifahrer, DJs und Alkoholproduzenten? All diese Menschen leben ja unter anderem von unserem geistigen und körperlichen Verfall. Aber nein, tu dir mal was Gutes, lautet die Devise. Mal wieder ein kluges Buch lesen, den Körper in Hochform bringen, der Leber eine Auszeit gönnen. Ja, klingt nach einer Menge Spaß, Mutter.

Apropos Mutter. „Die Mutter der Ausschweifungen ist nicht die Freude, sondern die Freudlosigkeit“, sagte Nietzsche. Aber mal ganz ehrlich, haben Sie sich mal ein Foto von dem angeguckt? Will man so aussehen und durchs Leben laufen? Ich sage Nein. Aber jetzt ist ja alles wieder gut, der Februar ist da. All die unnötigen Pläne können verworfen werden oder durch Pläne ersetzt werden, die man spontan und angetrunken in einem Taxi erstellt. Und genau das taten wir. „Einmal ins Musik & Frieden bitte. Das ist der Schuppen, der früher mal 103 hieß und dann eine Weile Magnet.“ Der neue Name des Clubs animierte den Fahrer zu einigen Gedankenverrenkungen, und so landete er nach Nicoles ESC-Sieg über den Umweg „Wind of Change“ bei seinem Besuch auf der Obdachlosen-Gala von Frank Zander. Betretenes Schweigen. Allen lag es auf der Zunge, aber niemand traute sich, zu fragen, ob er dort auch seinen größten Hit, „Nur nach Hause gehen wir nicht“, vortrug. Irgendwie unpassend, aber andererseits auch naheliegend. Was soll der Mann denn sonst singen? In den buntesten Farben wurde uns nun von dem rauschenden Fest erzählt. Offensichtlich trauerte auch der Fahrer noch dem Dezember nach. Verständlich. Niemand fährt mit dem Taxi ins Gym. Wir bedauerten ihn noch ein wenig, stiegen aus, gaben reichlich Mitleidstrinkgeld, und eine leichte Nervosität stellte sich ein. Waren wir noch in der Lage, mitzuhalten mit den Kids von „Heute“? „Also los, ab ins Getümmel.“ So sagt man das, glaub ich, wenn man jung, wild und volle Kanne crazy ist. Oh Gott. Hatte ich etwa in diesem einen Monat schon den Kontakt zur Clubkultur und der Jugend verloren? Let’s see.

Auf der Bühne stand MC Bomber, seines Zeichens der „Ayatollah aus dem P-Berg“ und zu Recht die aktuelle Rap-Hoffnung des musikalisch in diesem Bereich eher brachliegenden Ostens der Stadt. Na, dann mal schauen, was die Jugend da so fabriziert. MC Bomber in Höchstform klang dann so: „Mach nicht auf Killer, wenn du sogar Angst vor Lego hast / Du Pimmel rennst nach der Fusion durch den Wald und denkst, du bist Legolas.“ Mein Lachen beruhigte mich. Offenbar war ich nicht allzu schlau geworden in den vergangenen vier Wochen. Gut zu wissen.