Lazarett der bürgerlichenOrdnung

Im Gefängnis gewesen sein, das ist ein großes Erlebnis, das kein politischer Mensch aus seinem Dasein streichen kann.

Es ist die Berührung mit einer abgesonderten Welt, die eingemauert zwischen uns ragt und von der wir weniger wissen als von Tibet oder der Osterinsel. Das Gefängnis, das heute in Deutschland nicht mehr strafen, sondern bessern und erziehen soll, ist damit sozusagen zum Lazarett der bürgerlichen Ordnung avanciert.

Ich habe das Gefängnis nicht als ein Haus der gewollten Härte und der traditionellen Quälereien kennengelernt, aber auch so bleibt es ein Haus des Jammers, in dem hinter jeder Eisentür ein andrer trauriger Globus kreist, durch schicksalsmäßige Verstrickung in dieser Bahn gehalten.

Schuld –? In diesem Hause fällt das Wort nicht, hier gibt es nur Opfer. Als ich zwei Tage vor Weihnachten hinausging, hatte ich ein Würgen im Halse, das so etwas wie schlechtes Gewissen war, weil ich heimkehren durfte und die andern blieben. Carl von Ossietzky aus: Ein Lesebuch für unsere Zeit, Kapitel 87

Carl von Ossietzky, Herausgeber der Weltbühne, saß vom 10. Mai bis 22. Dezember 1932 in Tegel hinter Gittern. Er war vom Reichsgericht in Leipzig wegen Landesverrats und Spionage zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt worden und kam aufgrund einer Winteramnestie früher frei.

In dieser Woche haben die ersten der rund 220 Mitarbeiter des neuen Berliner Gefängnisses Heidering ihren Dienst aufgenommen. 40 Angestellte der Verwaltung, darunter die Anstaltsleitung, begannen am Mittwoch in der Justizvollzugsanstalt (JVA) im brandenburgischen Großbeeren mit ihrer Arbeit. Offiziell eröffnet werden soll die JVA am 18. März. Die ersten Häftlinge werden voraussichtlich im April nach Heidering verlegt. Bis zu 648 Gefangene sollen in dem Gefängnis Platz finden.

Das rund 120 Millionen Euro teure Gefängnis soll vor allem alte, teils marode und häufig überbelegte Haftanstalten in Berlin entlasten. Insbesondere Tegel, die größte Männerhaftanstalt Deutschlands, wird die Folgen zu spüren bekommen. Denn in Heidering müssen vor allem jene Menschen einsitzen, die bis zu fünf Jahren Haft aufgebrummt bekommen haben. Sie werden aus Tegel nach Brandenburg verlegt. Für das Gefängnis im Berliner Norden bleiben all jene, die länger oder gar lebenslang hinter Gitter sollen. Und solche, für die Sicherungsverwahrung vorgesehen ist. Die schwierigen Fälle also. Strafvollzugsexperten befürchten, dass Tegel zu einer Art Resterampe wird. Wird Tegel dem Anspruch Carl von Ossietzkys künftig noch gerecht, zu bessern und zu erziehen?

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