Familienmord

Knapp elf Jahre nach der Ermordung ihrer Schwester
stehen jetzt zwei Männer in Istanbul vor Gericht

Das Mordkomplott der Brüder Sürücü

Fall Vor fast elf Jahren tötete Ayhan Sürücü seine Schwester Hatun, weil er sich von ihrer Lebensweise abgestoßen fühlte

BERLIN taz | Drei Schüsse aus nächster Nähe in den Kopf – es war wie eine Hinrichtung. Vor 11 Jahren – am 7. Februar 2005 – wurde die 23-jährige Deutschkurdin Hatun Sürücü nahe ihrer Wohnung in Berlin-Tempelhof auf offener Straße ermordet.

Todesschütze war der 19-jährige Ayhan, ihr jüngster Bruder. In dem Prozess, der ein Jahr später vor dem Berliner Landgericht stattfand, war aber nicht nur er wegen Mordes angeklagt. Neben ihm saßen seine beiden Brüder Mutlu und Alpaslan. Die Staatsanwaltschaft glaubt bis heute, dass alle drei für den Tod von Hatun Sürücü verantwortlich sind. Motiv: Die Schwester habe die Familienehre beschmutzt.

Am Ende wurde aber nur Ayhan verurteilt – zu neun Jahren und drei Monaten wegen Mordes. Er saß die Jugendstrafe bis zum letzten Tag in Berlin ab. Direkt im Anschluss – am 4. Juli 2014 – wurde er in die Türkei abgeschoben. Die mitangeklagten Brüder wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Das Urteil hob der Bundesgerichtshof 2007 wieder auf. Aber da hatten sich Mutlu und Alpaslan bereits in die Türkei abgesetzt.

Es war damals nicht das erste Mal, dass eine Migrantin sterben musste, weil sie sich traditionellen Wertvorstellungen nicht beugen wollte. Aber dass sich drei Brüder zu einem Mordkomplott zusammentun? Die Gesellschaft war geschockt. Die Sensibilität für dieses Thema ist nach Hatun Sürücüs Tod gestiegen. Auch die Hilfesysteme für Einwanderertöchter in Not sind deutlich besser geworden.

Am ersten Prozesstag vor dem Berliner Landgericht legte Ayhan überraschend ein Geständnis ab. Er gab an, den Mord allein begangen zu haben. Die wechselnden Männerbekanntschaften seiner Schwester hätten ihn abgestoßen. Seiner früheren Freundin Melek indes hatte Ayhan nach dem Mord anderes erzählt: Der ältere Bruder Mutlu habe die Tatwaffe besorgt. Der andere Bruder, Alpaslan, habe in der Mordnacht Schmiere gestanden.

Melek – seit ihrer belastenden Aussage im Zeugenschutzprogramm – blieb vor Gericht bei ihren Angaben. Die Zeugin „vom Hörensagen“ wurde dreimal vernommen. Die Brüder bestritten jegliche Mittäterschaft. Alpaslan präsentierte für die Tatnacht gar ein Alibi.

In der Urteilsverkündung hatte der Vorsitzende Richter die Zeugin Melek als „das entscheidende Beweismittel“ in dem Verfahren bezeichnet. Sie sei glaubwürdig und um Wahrheit bemüht gewesen, aber allein ihre Aussage habe nicht ausgereicht, um die Brüder Mutlu und Alpaslan der Mittäterschaft zu überführen. Der Verdacht, dass sie an dem Schwesternmord beteiligt gewesen seien, bleibe aber bestehen, so der Vorsitzende damals. Die Staatsanwaltschaft hatte damals lebenslängliche Haftstrafen für die beiden Brüder beantragt und Revision eingelegt.

Der Bundesgerichtshof hob die Freisprüche im August 2007 mit der Begründung auf, die Beweiswürdigung des Landgerichts sei lückenhaft. Mit Blick auf die komplizierte Beweislage sagten die Bundesrichter aber auch beträchtliche Schwierigkeiten für einen neuen Prozess voraus. Damals ging man noch davon aus, dass der in Berlin stattfindet. Dass nun in der Türkei verhandelt wird, macht es nicht leichter.PLUTONIA PLARRE