Ihr Freund der Baum

BAUMBESETZUNG 85 Tage lebte Coyote Schlotterbeck auf einem Baum in Texas, der der Öl-Pipeline weichen sollte

■ Die Keystone XL Pipeline wird voraussichtlich die erste große umweltpolitische Entscheidung von Präsident Obama in diesem Jahr. Über 3.462 Kilometer soll Teersandöl von der kanadischen Provinz Alberta bis in die Raffinerien an der texanischen Golfküste geschafft werden.

■ Nach Protesten von UmweltschützerInnen, aber auch von demokratischen und republikanischen PolitikerInnen längs der geplanten Trasse, hatte Obama den Bau des nördlichen Pipeline-Abschnittes in den USA im Wahlkampf gestoppt. Doch für den südlichen Teilabschnitt der Pipeline – ab Oklahoma bis Texas – hat Obama längst grünes Licht gegeben.

■ Teersandöl (mit den weltweit größten Vorkommen in Kanada und in Venezuela) belastet die Umwelt und das Klima um ein Vielfaches mehr als konventionelles Öl. Bei seiner Förderung und der ersten Grobtrennung von Sand und Bitumen werden große Wassermengen sowie Chemikalien ein- und freigesetzt – etwa Arsen und Quecksilber. In der Provinz Alberta sollen Waldflächen in der Größe von England gerodet werden. Große Wassergebiete sind bereits kontaminiert und die Krebsrate bei den UreinwohnerInnen ist gestiegen.

■ Damit TransCanada die Pipeline bauen kann, wurde in den USA privater Landbesitz beschlagnahmt. Die BefürworterInnen argumentieren, dass Teersandöl zur „Energieunabhängigkeit“ der USA beitrage. Die GegnerInnen betrachten Teersandöl als gefährlichsten CO2-Produzenten, sie stellen fest, dass viel weniger Arbeitsplätze geschaffen werden, sie bestreiten auch das Recht auf Landenteignungen: unter anderem, weil das raffinierte Endprodukt auf den Weltmarkt – und keineswegs allein auf den US-Markt – geht.

■ Die Zukunft des Teersandöls hängt auch von einer Entscheidung in Europa ab: Falls die EU-Kommission einen Importstopp für dieses dreckigste aller Öle verhängt, bricht für TransCanada ein wichtiger Absatzmarkt weg.

AUS WINNSBORO DOROTHEA HAHN

Zuerst sind die Schuhsohlen zu erkennen – sie haben tiefes Profil. Dann der Hintern. Er hängt in einem Klettergurt. Zuletzt erscheint das Gesicht. Es hat weiche Züge. Es lächelt unter einer braunen Mütze mit aufgestickter Blume.

Für das Interview ist Coyote aus der Baumkrone gestiegen, hat sich langsam abgeseilt – der Karabiner, an dem sie hängt, scheppert dabei. Jetzt schaukelt sie fünf Meter über dem Waldboden in der Luft. Hat ihre Unterschenkel um den Eichenstamm geschlungen. Umfasst mit links das Seil, das an einem Ast befestigt ist. Streicht mit rechts über die Nadeln einer jungen Kiefer.

Coyote lebt seit Monaten auf dem Baum. In einem Wald bei Winnsboro in Texas. Zusammen mit einer Handvoll anderer Treesitter – Baumbesetzer – bewohnt sie neun Holzplattformen, die zwischen Stämmen und Ästen von Eichen befestigt sind. Zwischen 25 und 30 Metern hoch über dem Boden. Über den Plattformen liegen Plastikplanen in den Ästen. Unter den Plattformen hängen Eimer mit Essensvorräten und Wasser. Zwischen den Bäumen sind Stahlseile gespannt, an denen man sich mit Karabinern einklinken und von einem Baum zum nächsten rutschen kann, sowie eine schmale Seilbrücke, die quer über die ursprünglich geplante Trasse der Keystone XL Pipeline verläuft. „Verteidigt unser Zuhause, nicht die Pipeline“ steht auf einem Transparent, das von der Brücke flattert. Die Einzigen, die es sehen können, sind die Arbeiter, die den Wald zerstören.

Am Anfang, als die Sonnenkollektoren wegen der dichten Laubdecke nicht genügend Licht einfangen konnten, um ihr Handy zu laden, hat Coyote tagelang mit niemandem gesprochen. Auf Nachbarbäumen saßen andere Treesitter. Aber um zu ihnen zu kommen, hätte sie über die Stahlseile rutschen müssen. Derweil Arbeiter in der Tiefe standen und hochbrüllten: „Hört auf mit dem Quatsch. Ihr erreicht eh nichts. Kommt runter.“

Für die Öl-Pipeline werden Wälder abgeholzt

Die Arbeiter im Wald sind wie ein Echo dessen, was die Zeitungen im ölfreundlichsten aller Bundesstaaten der USA schreiben. Da gelten die Treesitter als „Ortsfremde“ und „Ausländer“. Da fordern Politiker sie auf, endlich zu verschwinden. „Banden betreten unerlaubt unser Land und verrichten ihre Notdurft auf unseren Grundstücken“, schrieb der texanische Landkommissar Jerry Patterson im Oktober: „Sie hassen die Öl- und Gas-Industrie. Und sie verstehen weder die texanischen Werte noch unsere Kultur.“

Beinahe jeden Tag auf dem Baum sieht Coyote sich selbst „durch die Luft fliegen“, wenn die Sägemaschinen wieder greifbar nahe kommen. Manchmal klammert sie sich aus Angst an den Ast einer Eiche, die selbst von den Erschütterungen vibriert. Sie lernt, mit der Gefahr zu leben. Sie gewöhnt sich auch an die privaten Wachleute, die unter den Bäumen mit Pfefferspray, elektrischen Taser-Pistolen und Handschellen auf und ab gehen. Und darauf warten, einen Treesitter oder einen der Unterstützer festzunehmen, um sie dem Wood-County-Sheriff zu übergeben. Vier Mal haben die Wachleute auch Reporter in Handschellen aus dem Wald geführt. Gegen festgenommene Treesitter hat anschließend der Konzern, der die Pipeline baut, Anzeige erstattet. Mehrere hundert Seiten ist die Anklageakte dick: „TransCanada gegen Öko-Terroristen“ steht auf der ersten Seite.

„Wenn hier jemand ein Terrorist ist, dann TransCanada“, sagt die schaukelnd im Baum hängende Coyote. „Die Petroleum-Industrie raubt das Land, rodet die Bäume, zerstört die Atmosphäre und verschmutzt das Wasser. Nicht wir.“ Es ist ein sonniger Tag im Dezember. Coyote hat per Telefon durchgegeben, dass die Luft rein ist. Ramsey Sprague, einer der Unterstützer, die Essen, Wasser und manchmal auch Journalisten in den Wald bringen, macht sich auf den Weg. Kein Arbeiter, kein Wachmann ist in Sicht. Nur Vögel sind zu hören, das Rascheln herunterfallender Eicheln, das Rauschen des Windes in den Zweigen.

Früher arbeitete Coyote auf dem Bau und auf Farmen im nordöstlichen Bundesstaat Maine. „Als ich jung war“, sagt die 29-jährige Person über jene scheinbar lang zurückliegende Zeit. Vor eineinhalb Jahren gibt sie Job, Einkommen, festen Wohnsitz und eine Beziehung auf. Zuvor hat sie begonnen, über die Umwelt zu lesen. Und sie hat von einer Pipeline erfahren, die in den nächsten Jahren in Maine gebaut werden könnte: „Ich war überwältigt von allem, was ich über die Zerstörung des Ökosystems und über die Rohstoffindustrie hörte.“

Coyote verlässt Maine. Macht sich auf die Wanderschaft. Sie geht zu Fuß, reist per Anhalter, fährt mit dem Zug. Sie schläft unter freiem Himmel. In ihrem Rucksack Sonette von Rainer Maria Rilke. Manche Gedichte begleiten sie: „Geh in der Verwandlung aus und ein. Was ist deine leidendste Erfahrung? Ist dir Trinken bitter, werde Wein.“ Sie lässt ihre Gedanken kreisen. Um den Planeten. Und um sich selbst. Denn auch ihre eigene Identität ist in Bewegung geraten. Sie ist als Junge zur Welt gekommen. Hat einen Männerkörper, eine Männerstimme. Aber sie fühlt sich anders. Auf ihrer Wanderschaft beginnt sie, sich dem „sie“ zu nähern, der weiblichen Form, die sie heute für sich benutzt. Ihren alten Vornamen hat sie zurückgelassen. Den neuen wählt sie, weil sie schon als Kind Hunde mochte. Bei der Wanderschaft rückt sie deren wilden Verwandten, den Kojoten, näher. Und findet ihren eigenen Namen „Coyote“. „Wir sind bedroht und bedrohlich zugleich“, sagt sie. Bloß ihr Nachname verbindet sie weiterhin mit der Vergangenheit: Schlotterbeck, den haben ihre Urgroßeltern aus Sachsen und aus dem Schwarzwald mitgebracht.

Zwischen Maine und Texas liegen mehr als 1.700 Meilen. Auf dem Weg hat sie viel Zeit zum Nachdenken. Als Coyote im Sommer 2012 in Winnsboro ankommt, hat sie das Gefühl, „beide Füße auf dem Boden“ zu haben. Sie will etwas gegen die Umweltzerstörung tun. Will sich dem Widerstand gegen die Keystone XL Pipeline anschließen. Auch um zu lernen, was sie später in Maine tun kann, um dort die Pipeline zu verhindern. Sie ahnt nicht, dass sie bei Winnsboro auf einen Baum steigen wird und dann monatelang nicht mehr herunterkommt. Nie zuvor ist sie geklettert.

Die Ölindustrie bringt die Anwohner zum Schweigen

Das 3.400-Einwohner Städtchen Winnsboro liegt tief im roten Texas – „rot“ wie die Farbe der Republikaner. Es ist umgeben von Wald und mehreren künstlichen Seen voller Fische. Nichts deutete darauf hin, dass es ein Zentrum des Widerstands gegen die Keystone XL Pipeline wird. Texas ist mit dem Öl verwachsen und reich damit geworden. Auf den Landstraßen von Wood County sind mehr Jeeps als Kleinwagen unterwegs. Am Wegrand stehen Werbeschilder, die die Leistungen von Bohrunternehmen preisen. „Oil“ und „Pipeline“ sind beliebte Straßennamen. Hinter weiß lackierten Zäunen grasen dunkelbraune, fast schwarze Rinder. Und direkt unter vielen ihrer Weiden verlaufen Ölpipelines. Farmer in Texas verdienen sich damit ein Zubrot. Spindletop, wo im Jahr 1901 die größte Ölquelle der damaligen Welt entdeckt wurde, ist nur ein paar hundert Meilen entfernt. Auch viele der wohlhabenden Rentner und Wochenendler aus dem zwei Autostunden entfernten Dallas, die seit einigen Jahren Häuser rund um Winnsboro kaufen, haben ihr Vermögen in der Ölindustrie gemacht.

Manchmal klammert sie sich aus Angst an den Ast einer Eiche, die selbst von den Erschütterungen vibriert

Doch in Winnsboro leben auch Leute wie der Tischler David Daniel. Er wohnt mit Frau und kleiner Tochter auf einem Waldgrundstück südwestlich des Ortes. Und er erkennt als einer der ersten die Risiken des Teersandöls, von dem zuvor kaum jemand in Texas gehört hat. Als 2009 die Agenten von TransCanada zu den Grundstücksbesitzern auf der Trasse der Keystone XL kommen, um die Rechte für den Bau einer neuen Pipeline zu erwerben, stellt er ihnen Fragen: Welche Chemikalien werden dem Teersand zugefügt, um ihn zu verflüssigen? Was würde im Fall eines Pipelinebruchs passieren? Was tut die TransCanada, um meine Familie im Fall einer Ölpest zu schützen? Die Agenten sprechen von „normalem Rohöl“. Konzernchef Russ Girling sagt, die Keystone XL sei die „sicherste Pipeline, die je gebaut wurde“. Antworten auf seine Fragen bekommt der Tischler nicht. Er organisiert Bürgerversammlungen und informiert über die ungeheuren Wassermengen, die zur Teersandölförderung verbraucht und kontaminiert werden. Über den Ausstoß von CO2-Gasen, der höher als bei jeder anderen Ölförderung ist. Und über die Unfälle von TransCanada Pipelines. Dann platzt 2010 eine Pipeline in Michigan. Teersandöl vergiftet den Kalamazoo-Fluss so nachhaltig, dass es die teuerste Ölpest in einem Wasserlauf der USA wird. Deren Folgen sind bis heute spürbar. Nur weil das Unglück zur gleichen Zeit wie die Explosion einer Ölplattform im Golf von Mexiko passiert, erfährt die Öffentlichkeit kaum davon.

Als Tischler Daniel ankündigt, dass er sich persönlich auf einen seiner Bäume setzen wird, um zu verhindern, dass die TransCanada ihre Pipeline quer über sein Land baut, hören Umweltschützer in weit entfernten Gegenden der USA erstmals von Winnsboro. Zwei Jahre später ist der rote Bart von Daniel grau. Er hat die 14.000 Dollar von TransCanada angenommen. Hat einen Vertrag unterschrieben. Spricht nicht mehr mit Journalisten. Und hält sich auch vom Widerstand fern. Sollte er den Pipeline-Bau behindern, drohe ihm eine Strafe von einer halben Million Dollar, ordnete ein Richter in Wood County an. Als Coyote und die anderen Treesitter im vergangenen Sommer auf die Bäume auf seinem Land klettern, ist Tischler Daniel, einst lautstärkster Gegner der Keystone XL-Pipeline in Winnsboro, verstummt.

Fast alle Landbesitzer in der Region haben unterschrieben – und das Geld von TransCanada kassiert. Viele berichten, dass sie unter Druck gesetzt und mit Enteignung und Prozessen bedroht worden seien. Doch nicht alle sind anschließend verstummt. Susan Scott, die seit 37 Jahren ein Waldgrundstück am Ortsrand von Winnsboro besitzt, hat mehr als 20.000 Dollar von TransCanada genommen. Aber sie macht keinen Hehl daraus, dass sie es bitter bereut. „Sie haben mit ihren Dollarbündeln die Presse und die Politiker gekauft“, sagt Susan Scott, „wir sind einfache Leute vom Land. Wie sollen wir da mithalten?“

Die 64-Jährige besitzt keinen Computer, aber sie ist durchsetzungsstark. Als die Agenten von TransCanada zu ihr kommen, hat sie gerade einen zweijährigen Kampf gegen eine Elektrizitätsgesellschaft gewonnen. Die wollten Überlandleitungen über ihr Grundstück legen. Die Agenten von TransCanada indes sind anders. Sie erklären von vornherein, die Pipeline komme. Wenn Susan Scott Nein sage, würde ihr Land beschlagnahmt: im übergeordneten öffentlichen Interesse.

„Sie haben mich belogen und betrogen und eingeschüchtert“, ist das bittere Fazit der 64-Jährigen. Quer über ihr Grundstück zieht sich jetzt die Schneise mit der Pipeline. Susan Scott ist ein Nervenbündel geworden. Hat dreißig Pfund Gewicht und ihren Nachtschlaf verloren. Und bangt um die Gesundheit ihrer Kinder und Enkel. Auf einer Zeichnung hat sie die „Kill-Zone“ auf beiden Seiten der Pipeline gesehen, aus der in Notfällen evakuiert werden soll. Ihr komplettes Grundstück liegt darin. Sie ist Texanerin und mit Pipelines aufgewachsen. Sie weiß: „Jedes Rohr hat Lecks. Das wird auch bei diesem so sein.“

Die Baumbesetzer trotzen der Ölindustrie

Für die „Kids auf den Bäumen“ hat Susan Scott nichts als Bewunderung. „Die haben Mut“, sagt sie, „die setzen ihr Leben ein“. Von ihrer Regierung hingegen – sowohl der in Texas als auch der in Washington – fühlt sie sich im Stich gelassen: „Sie geben unser Land an ein ausländisches Unternehmen, das eine Schneise quer durch Amerika schlägt. Keine Arbeitsplätze schafft. Und das raffinierte Öl dorthin exportieren, wo es das meiste Geld bringt. Wenn aber das Rohr bricht, ist unser Land zerstört. Es macht mich stinksauer. In Amerika siegen Geld, Macht und Gier.“

Die einzige Landbesitzerin im County, die trotz des Drucks von TransCanada, den auch sie als „unehrlich, respektlos und betrügerisch“ erlebt hat, nicht unterschrieben hat, ist Eleanor Fairchild. Die 78-Jährige wohnt allein auf einem 350 Acres großen Anwesen, fast 1,5 Quadratkilometer sind das, das sie mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann Ray gekauft hat. Die beiden haben damals in Dallas gelebt. Ihr Mann war im Ölbusiness. War als Geologe zuständig für Ölförderungen im Jemen. Seine Witwe fährt in einem offenen Golfwagen in rasanter Geschwindigkeit über ihr Land. Vorbei an dem Wald, den Feldern, dem See und den fünf Quellen, von denen das Wasser von ihrem topografischen Hügel aus auf das umliegende Land fließt.

Gegen „normales Petroleum“ hat Eleanor Fairchild nichts. Bloß Teersandöl lehnt sie ab: Weil es der dreckigste Treibstoff auf Erden ist. Weil es die Klimaerhitzung noch beschleunigt. Und weil es jeden Boden kaputtmacht. Deswegen hat sie sich vor eine Baumaschine gestellt, als die im Oktober begann, das Land auf ihrem Gelände zu planieren. Zusammen mit der aus Kalifornien angereisten Filmschauspielerin Daryl Hannah hat sie die Pipeline-Arbeiten für ein paar Minuten verzögert. Eleanor Fairchild wurde in Handschellen von ihrem eigenen Land abgeführt und blieb eine Nacht im Gefängnis. In der dicken Anklageakte „TransCanada gegen Öko-Terroristen“ ist ihr ein langes Kapitel gewidmet.

In der großen Küche ihres Bungalows auf dem Hügel im Zentrum ihres Landbesitzes sagt Eleanor Fairchild: „Die haben Angst vor einer kleinen alten Dame.“ Sie glaubt, dass ihr verstorbener Gatte ihren Kampf gegen die Keystone XL unterstützt hätte. Und sie weiß, dass nur wohlhabende Leute sich ein Nein zu einer Pipeline leisten können. „Mit einem ‚No‘ ist es nicht getan, anschließend ist ein Anwalt nötig, Experten, Schätzungen“, sagt sie, „da kommen leicht 30.000 bis 50.000 Dollar zusammen. So viel haben die meisten Leute nicht.“ Als eines ihrer erwachsenen Kinder die Mutter mahnt, dass man in den USA wegen „Terrorismus“ unbegrenzt hinter Gitter kommen kann, antwortet Eleanor Fairchild: „Wozu ist Geld gut, wenn wir den Planeten zerstören?“

Jeden Tag sieht Coyote sich „durch die Luft fliegen“, wenn die Sägemaschinen wieder nahe kommen

In den Cafés in Winnsboro äußern sich die Leute anerkennend über Eleanor Fairchild, die „Öko-Terroristin“. Sie ist Landbesitzerin. Sie verteidigt ihr Land. Sie hat Mut. Das zählt in Texas. Was die Kids in den Bäumen angeht, reagieren sie verhaltener. „Sie sind nicht von hier.“

Coyote hat sich Texas anders vorgestellt, als sie noch in Maine war. Mit Wüste und Kakteen statt mit altem, dichtem Mischwald. Als sie im Sommer in Winnsboro ankommt, sind die ersten Plattformen im Wald bereits fertig. Einzelne Gegner der Keystone XL Pipeline machen seit Wochen Klettertraining, um sich auf das Wohnen in der Höhe vorzubereiten. Mitte September klettert Coyote, die ihre Rolle vor allem als Unterstützung am Boden sieht, auf einen Baum. Sie hat nicht die Absicht, länger oben zu bleiben. Aber als sie oben ist, schickt die TransCanada Privatpolizisten in den Wald. Piloten von einem Patrouillenflugzeug haben die blauen Plastikplanen aus der Luft gesichtet. Der Konzern versucht, die Treesitter so schnell wie möglich zu vertreiben. Da herunterzuklettern war gefährlicher, als auf dem Baum zu bleiben. Coyote fügt sich. Lebt seither permanent in einem Klettergurt. Isst tagelang nichts anderes als Erdnussbutter und Marmelade. Trinkt Wasser. Verliert – wie alle Treesitter – Gewicht. Bekommt einen muskulösen Oberkörper. Und will nicht verraten, wie sie es oben im Baum mit dem Klogang hält. Nach ein paar Wochen im Baum, steigt sie klammheimlich ab, fährt nach Houston, macht eine Pause von Stress, Angst und nächtlichem Terror. Anschließend kommt sie in den Wald zurück. Zu den Bäumen, denen die Besetzer Namen gegeben haben. Es gibt „Falcor“ – wie der Glücksdrache in der „Unendlichen Geschichte“. Es gibt „Fangorn“, wie ein Wald im „Herrn der Ringe“. Und es gibt „Rattler“– der nach der Klapperschlange benannt ist, die beim Plattformbau auftauchte.

Coyote, die nicht vorhatte, auf einen Baum zu steigen, ist die Treesitterin in Winnsboro geworden, die am längsten auf einem Baum lebt. Sie spricht in einem andächtigen Ton. Leise, um weder die Vögel zu stören noch die Privatpolizisten auf sich aufmerksam zu machen. Sie nennt ihre Bäume „Lover, denen man lange ins Auge blickt“. Als sie nach Texas kam, glühte noch die Sommerhitze. Das Grün in den Baumspitzen war so dicht, dass die Plattformen kaum von unten erkennbar waren. Inzwischen haben die Bäume ihre Blätter verloren. Und Coyote trägt immer mehr Kleiderschichten übereinander. Im Dezember kann ein eisiger Wind durch die Bäume pfeifen.

Der Protest hat Erfolg: Die Bäume bleiben stehen

An Weihnachten ist klar, dass die Bauarbeiten der TransCanada bei Winnsboro abgeschlossen sind. Der Konzern hat die grünen Rohre für die Keystone XL in einem Bogen um das kleine Wäldchen in den Sandboden verlegt. Es ist eine Schleife auf einer sonst schnurgeraden Strecke. Die Bauarbeiter ziehen weiter. 85 Tage nach dem offiziellen Beginn ihrer Aktion entscheiden die Treesitter abzusteigen.

Coyote fliegt nach Maine. Ihre Mutter hat ihr ein Ticket geschickt. Sie will sich erholen. Will die Brezel essen, die in ihrer Familie nach einem alten deutschen Rezept gebacken wird. Will Freunde sehen. Sobald sie genug Kraft getankt hat, will sie im neuen Jahr zurück nach Texas. Dort geht der Keystone-XL-Bau weiter. Und so auch der Widerstand. Schon am ersten Januarwochenende sind weiter südlich neue Aktionen geplant. Für Coyote ist Texas die Generalprobe. Falls eines Tages tatsächlich in Maine eine neue Pipeline gebaut wird, wird sie zurückgehen. Um sich dort gegen die Ölindustrie zu stellen.