Angst und Waffen haben gerade Konjunktur, blöd nur, dass MAN DIE WAFFEN DANN, WENN ES DARAUF ANKOMMT, GAR NICHT MITFÜHREN DARF
: Der Norden rüstet auf

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Einmal war ich bei einer alten Dame, die in meinem Haus wohnte, wir unterhielten uns, sie sprach über ihre Ängste und sie ängstigte sich vor vielem – vor allem vor Ausländern. Und sie würde nicht mehr bei Douglas einkaufen gehen, sagte sie empört, weil sie da von einem „Neger“ bedient worden wäre. Im Vertrauen, und bevor ich aus ihrer Wohnung fliehen konnte, zeigte sie mir noch ihre Schreckschusspistole, die sie sich zu ihrer Sicherheit angeschafft hatte.

Dieselbe alte Dame wurde dann später angezeigt, von den Eltern eines Schulkindes, das die Dame mit Medikamenten aus der Apotheke beliefert hatte. Das Kind hatte sich seinerseits geängstigt, weil die alte Dame immer eine „Pistole“ bei sich hatte, wenn es ihr ihre Tabletten brachte. Auf die Anzeige hin besuchte dann die Polizei die alte Dame und dieser Besuch verängstigte wiederum die alte Dame so sehr, dass sie auf die Polizei, von der sie dachte, es wären Betrüger oder auch Verbrecher, mit ihrer Gaspistole schoss.

Es verängstigte dann die restlichen Bewohner meines Hauses, dass Polizisten bei uns herumbrüllten und dass im Treppenhaus geschossen wurde. Das wären soweit meine persönlichen Erfahrungen mit Schreckschusswaffen in Kombination mit Angst. Ungefähr so muss man sich das vorstellen, wenn verängstigte Menschen mit Schreckschusspistolen umgehen. Nicht verängstigte Menschen besorgen sich ja selten Schreckschusspistolen. Im Moment allerdings hat beides Konjunktur, Angst und Waffen. So wird es jedenfalls gemeldet.

Im NDR heißt es: „Der Norden rüstet auf.“ Die Vorfälle aus Köln würden die Menschen verunsichern und verängstigen und da würden die Waffengeschäfte geradezu gestürmt werden. Der gute Ehemann kauft jetzt seiner schutzbedürftigen Frau eine Waffe, damit sie sich gegen „Ausländer“ wehren kann. Damit die schutzbedürftige Frau die Waffe auch mit sich führen darf, muss sie in Deutschland den sogenannten Kleinen Waffenschein beantragen.

Den kriegt sie in der Regel auch, denn gegen den Kleinen Waffenschein spricht fast nichts. Man muss nur wenigstens 18 Jahre alt sein, darf nur ein bisschen vorbestraft sein und sollte nicht alkohol- oder drogenabhängig sein, wobei ich denke, dass eine kleine Alkoholabhängigkeit von den Behörden toleriert wird. Wer ist das schon nicht? Und wo soll das geprüft werden?

Wer also eine Schreckschusspistole mit sich führen will, muss diesen Antrag stellen, oder auch nicht, denn kaufen kann sie eigentlich auch jeder, der später keinen Antrag stellt. Für das Kaufen werden außer der Volljährigkeit keine weiteren Ansprüche gestellt. Und Umgehen muss man mit der Waffe auch nicht können.

Blöd ist nur, dass so eine Waffe dann, wenn es drauf ankommt, nämlich auf allen öffentlichen Veranstaltungen, wie dem Oktoberfest, auf Jahrmärkten oder Fußballfeiern, im Freiluftkino, in Hamburg auf der Reeperbahn sowieso, und überall da, wo am meisten gesoffen und gegrapscht wird, gar nicht mitgeführt werden darf. Aber nun. Die Kriminellen halten sich ja auch nicht an die Vorschriften, da muss der Bürger, der nichtkriminelle Bürger, sich zu seiner eigenen Wehrhaftigkeit auch nicht dran halten, oder?

Und, wie man aus Amerika auch weiß, wenn jeder eine Waffe trägt, kann man sich sicher fühlen. Denn in Amerika hat das Tragen der Waffen ja nachweislich zu einer ungeheuren Bürgersicherheit geführt. Man weiß das etwa aus so Filmen wie „Bowling for Colombine“ von Michael Moore.

Wenn der Norden Deutschlands nun auch aufrüstet, wenn dann also bald in jedem Haushalt eine kleine Schreckschusspistole herumliegt, dann wird es sicher in Nullkommanichts keine Einbrüche, keine Belästigung von Frauen mehr geben. Ich freue mich schon. Wenn im Treppenhaus wieder geschossen wird.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin

in Hamburg mit Interesse am

Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.