Nur ein Papiertiger

ENERGIEAUSWEIS Die Experten errechnen unterschiedliche Werte, viele Vermieter ignorieren die Vorschriften und Ämter verzichten auf Kontrollen

Dasselbe Haus steht als „gut saniert“ und „nicht wesentlich modernisiert“ da

Seit 2002 gibt es ihn für Neubauten, seit 2014 ist er Pflicht: Der Energieausweis. Fachleute berechnen dafür den Energiebedarf eines Hauses – damit Mieter und Käufer die Angebote hinsichtlich der Heizkosten besser miteinander vergleichen können. Zugleich sollen Eigentümer motiviert werden, in Heiztechnik und in die Dämmung zu investieren und so zum Klimaschutz beitragen. Vermieter und Verkäufer müssen ihn unaufgefordert vorlegen oder schon in Inseraten informieren. Die Praxis sieht anders aus.

Laut einer Stichprobe des Deutschen Mieterbundes in verschiedenen Großstädten wird bei 80 Prozent der von Maklern und 75 Prozent der von Wohnungsunternehmen angebotenen Wohnungen der Energieausweis nicht präsentiert. Selbst auf Nachfrage der Mietinteressenten legte nur ein Viertel der Vermieter oder Makler einen Energieausweis vor. „Viele Wohnungssuchende zögern, das Thema überhaupt anzusprechen“, sagt Agnes Sauter von der Deutschen Umwelthilfe (DUH).

Nach einer DUH-Untersuchung von Immobilienanzeigen im vergangenen Jahr gaben 66 Prozent der gewerblichen Anbieter den Endenergiewert an, nannten das Baujahr des Objektes, die Art der Heizung und – bei seit dem 1.5.2014 ausgestellten Ausweisen – die Energieeffizienzklasse. Bei privaten Anzeigen fanden sich diese Pflichtangaben bei ganzen 14 Prozent. Fehlen sie, gilt dies als Ordnungswidrigkeit, bei der ein Bußgeld droht.

Doch es gibt ein Schlupfloch: Die Werte müssen im Inserat nicht veröffentlicht werden, wenn sie zum Zeitpunkt der Anzeigenschaltung nicht vorlagen. „Es ist sehr ärgerlich, dass dieses Schlupfloch von vielen gewerblichen Anbietern schamlos ausgenutzt wird“, sagt Sauter. „Spätestens bei der Besichtigung muss ja der Energieausweis vorhanden sein.“ Kontrollen hätten aber gezeigt, dass er oft nicht vorgelegt wird.

Der eigentliche Skandal sei allerdings, dass sich niemand darum kümmere. In keinem Bundesland werde kontrolliert, ob der Pass wirklich präsentiert und seine Werte in Inseraten angegeben werde, so Sauter. Nur in Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen würden die Behörden tätig, wenn sich Bürger beschwerten. Solche Beschwerden sind laut DUH die seltene Ausnahme. Von verhängten Bußgeldern ist Sauter nichts bekannt. Die DUH hat in 67 Fällen Prozesse gegen Makler eingeleitet – in 28 Fällen wurden diese dazu verurteilt, die Vorgaben einzuhalten. Ihnen drohen aber erst im Wiederholungsfalle Geldstrafen. Die anderen Verfahren sind noch nicht entschieden. Kontrollen ohne konkreten Anlass gibt es laut DUH bislang in keinem Bundesland. Hamburg verlangt aber bei Neubauten die Vorlage eines Energieausweises.

Das Deutsche Institut für Bautechnik hat mehr als 600.000 Energieausweise erfasst, die seit 2014 ausgestellt wurden. Durch Kontrollen sollen die Angaben auf ihre Plausibilität hin überprüft werden. Wie häufig es bisher zu groben Auffälligkeiten gekommen ist, sagt das Institut nicht. Auf das Nachrechnen der Werte verzichtet es.

Der Verband Haus & Grund hat zehn Energieberater sowie ein Onlineportal damit beauftragt, für zwei Häuser Energieausweise auszustellen. Ergebnis: Die ermittelten Werte unterschieden sich um bis zu 46 Prozent. Die Klassifizierung für ein und dasselbe Haus reichte von „energetisch gut saniert“ bis „energetisch nicht wesentlich modernisiert“. Die Schlussfolgerung des Interessenverbandes der Hausbesitzer und Vermieter: „Der Energiekennwert gibt keinen Hinweis auf hohe oder niedrige Heizkosten.“

Sauter beharrt auf dem Energieausweis, denn er sei „ein Anhaltspunkt“. Außerdem setze Deutschland damit EU-Recht um. Sie räumt aber ein: „Die Berechnungsmethoden müssen präzisiert und vereinheitlicht werden. Da besteht großer Handlungsbedarf.“

Was sollen Mieter tun? Randolph Fries vom Deutschen Mieterbund in Niedersachsen und Bremen hält die Rechtslage für unbefriedigend. In Niedersachsen gebe es keine Behörde, die Verstöße verfolge. Sein Tipp: „Am besten fragt man den Vormieter.“ Joachim Göres