LeserInnenbriefe
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Konzentriertes Schweigen

betr.: „Der Schock von Köln“, taz vom 9. 1. 16

Seit Jahren bin ich auf Pilgerwegen in Frankreich und Spanien unterwegs – meist allein. Immer mal wieder wurde ich von Männern bedrängt, die einfach die „gute Gelegenheit“ nutzten. Es waren keine kriminellen jungen Nordafrikaner, es waren immer weiße alte Männer: Mal war es ein Schäfer, mal ein Opa auf dem Morgenspaziergang, den ich nach dem Weg fragte, mal der Taxifahrer, mal der Küster in einer kleinen Kirche, die er vorher zugeschlossen hatte.

Einmal wollte ich in einer Mehrzweckhalle nächtigen. Ich war nicht angemeldet und wurde im Dorf zum Bürgermeister geschickt. Dieser schloss mir die Halle auf, wir erledigten die Formalitäten, dann ging er wieder. Ich bereitete mein Lager und ging duschen. Da stand plötzlich der Bürgermeister in der Dusche. Er betrachtete mich in aller Ruhe und ging. Etwas später kam das nette Pilger-Ehepar, das ich schon seit ein paar Tagen kannte. Ich erzählte, was gerade geschehen war, da sagte der nette Ehemann: „Weißt du, das musst du verstehen, vielleicht ...“ Am nächsten Tag hatte ich in Orthez auf der Straße noch eine unliebsame Anmache von einem Tattergreis. Auf meinem langen Weg durch Frankreich hatte ich ansonsten so viel Hilfsbereitschaft, Gastfreundschaft und Vertrauen erfahren.

Im Zusammenhang mit den Ereignissen von Köln kochte meine Wut über das konzentrierte Schweigen bei solchen Themen wieder hoch. Aber jetzt ist das Stillschweigen gebrochen, die Täter sind ausgemacht! Diese werden sich womöglich verwundert die Augen reiben über so viel Geschrei. Es könnte ja sein, dass sie bisher beobachtet haben, dass in unserer westlich-christlichen Wertewelt Grapschen und Vergewaltigen zum Alltag gehören und nicht der Rede wert sind.

PEREGRINA, 77, Wedemark

Psychopathen aller Länder

betr.: „Wir stecken in der Populismus-Falle“, taz vom 15. 1. 16

Als Frau machen mir die Reaktionen auf die Vorfälle in Köln und Hamburg mehr Angst als die Taten selbst. Auf einmal tun alle ganz frauenfreundlich – leben auf der anderen Seite offen Ihren Rassismus aus. Kein Klischee ist zu lächerlich, um nicht immer wieder aus den dunkelsten Schubladen und Ängsten hervorgekramt zu werden.

Die Vorfälle haben bei mir Erinnerungen geweckt. Als Frau habe ich sexuelle Belästigungen von Männern an diversen Orten erlebt. Die Täter waren überwiegend deutsch. Ich habe dieses Verhalten wie eine schlimme Krankheit hingenommen und gelernt mich zu wehren – mit Worten, in einem Fall mit Tritten. Ohne Waffen oder CS-Gas. Ich bin nie auf die Idee gekommen eine Anzeige zu machen, finde es aber vollkommen richtig, wenn Frauen diesen Weg gehen. Diese Art von Erfahrungen haben sicher viele Frauen gemacht. Deshalb finde ich die momentane Diskussion total verlogen. Obwohl ich diverse Erlebnisse mit Idioten auf den Straßen hatte, habe ich mich nie gefürchtet, fühle mich jetzt auch nicht unsicher. Ich bin nur immer wieder erstaunt über die Sichtweisen in und außerhalb unseres Landes und habe den Eindruck, die Psychopathen aller Länder haben sehr viele Gemeinsamkeiten.

CHRISTINE ZANDER, Hamburg

Zweiklassenstrafrecht

betr.: "Bosbach schießt Spitze ab“, taz vom 14. 1. 16

„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ So steht es in Artikel 3 des Grundgesetzes. Und weiter: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“

Dieser Gleichbehandlungs-Grundsatz spielt in der aktuellen Debatte über nichtdeutsche Straftäter kaum eine Rolle. Politiker aller Regierungsparteien (und viele andere) fordern zurzeit das genaue Gegenteil, nämlich ein Zweiklassenstrafrecht: Deutsche sollen nach dem Strafgesetzbuch bestraft werden, Nichtdeutsche sollen zusätzlich zu dieser Strafe mit einer Abschiebung bestraft werden. Ich finde es erschreckend, wie weitgehend die öffentliche Debatte zur Zeit von dieser offen verfassungsfeindlichen Forderung bestimmt ist.

Jahrzehntelang (bis 1997) hat die politische Rechte – nicht zuletzt CDU/CSU – die Meinung vertreten, Vergewaltigungen in einer Ehe seien keine „richtigen“ Vergewaltigungen. Noch heute gilt eine Vergewaltigung nicht als „richtige“ Vergewaltigung, wenn das Opfer „nur“ unmissverständlich „Ich will nicht, hör auf!“ sagt. Aber schon wenige Tage nachdem es zu mehrfachen sexuellen Belästigungen durch vermutlich nichtdeutsche Täter kommt, entdeckt die politische Rechte das Thema sexueller Übergriffe für sich. Ein Schelm, wer dahinter Rassismus vermutet.

Auch wenn der rassistische Zeitgeist dieser Tage harte Maßnahmen gegen nichtdeutsche Täter fordert: Es kann doch nicht so schwer sein, zwei Dinge voneinander zu trennen. Erstens: Sexuelle Übergriffe sind ernst zu nehmen, egal ob sie von Deutschen oder von Nichtdeutschen begangen werden. Und zweitens: Menschenrechte (wie zum Beispiel das Recht auf Asyl) stehen allen Menschen zu, ob sie Straftaten begangen haben oder nicht.

HOLGER VOSS, Münster