Große Erwartungen

WECHSEL Ihren nächsten Direktor holt die Hamburger Kunsthalle von einer öffentlichen Sammlung in London, an der er nie etwas ändern durfte. Mangel verwalten kann er also – und vielleicht gelingt ihm ja ein Coup

Neuer Direktor der Hamburger Kunsthalle: Christoph Martin Vogtherr Foto: Christian Charisius/dpa

Seinen Watteau wird er in Hamburg vermissen: die „galanten Feste“ jenes Rokoko-Malers und die üppig-lasziven Venus-Figuren von dessen Kollegen Fragonard; und die opulent verzierten französischen Möbel des 18. Jahrhunderts. Eine ganze Welt voller Dekor, voller mythologisch aufgeladener Kunst einer gehobenen Schicht hat Christoph Martin Vogtherr seit 2007 in der Londoner Wallace Collection betreut, zuletzt als deren Direktor. Seit Mittwoch ist bekannt, dass der 50-Jährige nächster Leiter der Hamburger Kunsthalle wird.

Die Wallace Collection ist ein öffentliches Museum, hervorg gegangen aus der privaten Sammlung von Sir Robert Wallace, Sohn des 4. Markgrafen von Hertford. Wallace’Witwe vermachte gesammelte Gemälde und Kunsthandwerk aus dem 17. und 18. Jahrhundert später dem Staat, der sie seit 1900 öffentlich – und bei freiem Eintritt – zeigt: im Hertford House, das einst der Herzog von Manchester erbauen ließ.

Mit diesem hochherrschaftlichen Ambiente ist es bald vorbei: Im Oktober 2016 geht in Hamburg Hubertus Gassner in Rente, dann folgt Vogtherr, der einst bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten volontierte, ihm an der Spitze der Kunsthalle. Die hat wenig am Hut mit Galanterien des 18. Jahrhunderts, ihre Sammlung ist vielmehr durch systematische Ankäufe ihres ersten Direktors entstanden, Alfred Lichtwark, der Romantiker wie Caspar David Friedrich ankaufte, oder auch Impressionisten wie Max Liebermann. Hamburgs Kunsthalle ist ein Haus der Kaufmannschaft, des Bürgertums. Und eben nicht des Adels.

Zur Plattform kultivierten Streits will er die Kunsthalle machen, sagt Vogtherr – was ihn bald einholen könnte: In Hamburg ist der politische Druck, Besucherzahlen zu liefern, hoch, die Finanzen aber sind klamm. Vielleicht aber ist er ja gerade deshalb ausgesucht worden: Vogtherr ist das gewohnt. Denn die Wallace Collection darf weder durch An- noch Verkäufe verändert werden, er musste mit dem jonglieren, was da war. Will sagen: Ausstellungen aus dem Bestand.

Ein so leicht zufrieden zu stellender Direktor ist ein Traumkandidat, mögen Hamburgs verantwortliche Politiker gedacht haben: Der wird nicht viel fordern und immer wieder neu die bestehende Kunsthallen-Sammlung präsentieren.

Und tatsächlich: „Ich will erkunden, wie man das Interesse an der ständigen Sammlung auf hohem Niveau hält“, hat Vogtherr jetzt bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in Hamburg gesagt. Sich bescheiden müssen Häuser in ganz Deutschland. Anscheinend erwartet man von Vogtherr noch mehr: „Von London lernen“, sagt er, „kann man sicherlich, die Öffentlichkeitsarbeit zu stärken und genauer zu erkunden, was die Besucher erwarten.“

Soweit, so bekannt. Seine Idee, junge Leute durch neue Technologien zu gewinnen. sicher kein Alleinstellungsmerkmal. Fraglich auch, was seine Untergebenen, die Ausstellungskuratoren, sagen, wenn fortan vor allem Präsentationen aus eigenen Beständen verordnet werden.

Er wolle, auch das sagt Vogtherr, mit seinen Mitarbeitern „langfristige Forschungskonzepte“ diskutieren. Die gibt es auch heute schon. An Dokumentation, Katalogisierung und Digitalisierung der Sammlung allerdings hakt es – Personalnot. Könnte er diese Grundlagenforschung forcieren und ihre Ergebnisse nutzen, um etwa nie gesehene Depot-Bestände zu zeigen: Es könnte klappen mit der viel beschworenen Neuausrichtung der Hamburger Kunsthalle. Auch wenn man das nicht unbedingt „Mut zur Unverwechselbarkeit“ nennen muss, wie Vogtherr es tut. Oder vielleicht doch?

Vielleicht hat Hamburgs Kulturbehörde doch einen ganz großen Fang getan – quasi aus Versehen. Petra Schellen