Die Rasenmähermänner

In der Staatskasse fehlt so viel Geld, dass sich die Sparpolitiker nicht mehr als agile Fitnesstrainerfür Bürger gebärden, die den „Gürtel enger schnallen“ müssen – sondern als gutmütige Gärtner

VON RALPH BOLLMANN

Es ist eine ganz neue Rhetorik, die Chefsparer Franz Müntefering bei den Koalitionsgesprächen über den klammen Bundeshaushalt angeschlagen hat. „Ganz klar“ ist für den SPD-Vorsitzenden, worum es in der Etatdebatte geht. „Milch und Honig wird nicht fließen“, formuliert Müntefering, „aber gesundes Brot und ordentlicher Aufstrich wird da sein.“

Erinnern wir uns: Mit protestantischer Verzichtsrhetorik suchte einst Helmut Schmidt den Deutschen die Erkenntnis zu vermitteln, dass öffentliches Geld, zuvor „Staatsknete“ genannt, ein knappes Gut sein könnte. „Den Gürtel enger schnallen“: Das war ein Appell, der keineswegs nur der empirischen Tatsache geschuldet war, dass eine damals schier unvorstellbare Masse von einer Million Arbeitslosen den Staatshaushalt strapazierte.

Nein, er zielte auf eine Grunddisposition der Deutschen oder zumindest der Protestanten unter ihnen. Geld ausgeben galt als verwerflich, Sparen dagegen als hoch moralisch: Davon, dass der Geiz zu den Todsünden hört, hatte man noch nichts gehört. Zumal die „schlechte Zeit“ nach dem Krieg noch in frischer Erinnerung war, als der Verzicht noch bittere Notwendigkeit war.

Während der Kohl-Ära war vom Sparen dann nicht mehr viel die Rede. Mit dem Körperumfang des Pfälzers wuchs auch die Staatsschuld von Jahr zu Jahr an, bis am Ende beide gleichermaßen Besorgnis erregende Ausmaße angenommen hatten. Bis heute ist es dabei geblieben, dass übergewichtige Politiker zur freigebigen Hand neigen, während andere Staatenlenker Körpergewicht und Geldbeutel gleichermaßen unter Kontrolle behalten.

Mit dem Aufschwung der New Economy hielt Ende der Neunziger auch ein neuer Typus von Haushaltspolitikern Einzug. Während allerorten Fitness-Studios eröffneten, in denen sich trendbewusste Großstädter über die ausgeschwitzten Kalorien penibel Rechenschaft ablegten, gerieten plötzlich auch die Haushaltszahlen in den Fokus des öffentlichen Interesses. Privat beugte man auf dem Laufband dem Herzinfarkt vor, politisch sorgte man sich um den künftigen Staatsinfarkt. „Nachhaltigkeit“ war das Zauberwort. Es galt, den Staat „fit zu machen“ und der verbreiteten „Staatssklerose“ entgegenzuwirken.

Nur leider war diese Rhetorik den Menschen „draußen im Lande“, wie Kohl sie einst nannte, nicht zu vermitteln. Die Stammwähler der beiden Volksparteien sahen ihren Lebenssinn nicht darin, sich im Fitness-Studio zu quälen – und eben auch nicht darin, bei Rente oder Praxisgebühr nachhaltigen Verzicht zu üben. Spätestens das Wahlergebnis vom 18. September hat gezeigt, dass die Parole des Fitness-Sparens nicht verfängt.

Stattdessen hat die große Koalition nun die Metapher des guten Hausvaters entdeckt – des Hausvaters, der ganz im Sinne von Franz Müntefering schon mal Milch und Honig vom Speisezettel streicht, damit für seine reiche Kinderschar stets genügend Brot und Aufstrich (der von Aldi, versteht sich) im Hause ist.

Damit verbindet sich auch die Umwertung, die der Begriff des „Rasenmähers“ neuerdings erfährt. Noch vor wenigen Jahren galt er als das übelste Schimpfwort, um kopflose und kontraproduktive Sparbemühungen zu denunzieren: Wer einfach nur den Rasen mäht, der rasiert Unkraut wie Nutzpflanzen gleichermaßen. Das Prinzip „Rasenmäher“ widersprach diametral der Fitnessidee, das Zukunftsträchtige zu hegen und das Gestrige zu amputieren.

Seit der künftige Finanzminister Peer Steinbrück und der hessische Ministerpräsident Roland Koch vor ein paar Jahren ihre Liste zu streichender Subventionen vorlegten, erfuhr der „Rasenmäher“ eine radikale Aufwertung. Das Mähen des Rasens bedeutet jetzt nicht mehr wahlloses Kürzen, sondern dort am meisten wegzuschneiden, wo das Unkraut am höchsten wuchert. Dass dabei auch ein paar Blümchen umgemäht werden, muss der Gärtner eben akzeptieren – wobei die kleinen Gänseblümchen immerhin noch eine kleine Überlebenschance haben, während die Lobby des langstieligen Löwenzahns vergeblich kämpfen wird.

Beim Stichwort „Rasenmäher“ denkt man jetzt plötzlich nicht mehr an „Fargo“ oder „Pulp Fiction“, sondern an den guten Hausvater, der seinen Garten hegt und pflegt. Fast möchte man sagen: an den emsigen Gärtner im Weinberg des Herrn. Das ist wohl auch die bescheidene Vision, die vom neuen Bundeskabinett ausgehen soll und in der sich die Großkoalitionäre von Steinbrück bis Koch am besten gefallen.