Iraker sagen Ja zur Verfassung

Das Ergebnis der Abstimmung über das Referendum zeigt die tiefe Spaltung der Gesellschaft zwischen arabischen Schiiten, Kurden und Sunniten. Vorwürfe der Wahlmanipulation sind trotz Nachzählungen nicht vollständig ausgeräumt

AUS ERBIL INGA ROGG

Die irakische Verfassung ist angenommen. Mehr als drei Viertel der Iraker haben sich im Referendum am 15. Oktober für das neue Grundgesetz gesprochen. Landesweit hätten gut 78 Prozent der Wähler mit Ja gestimmt, sagte der Sprecher Farid Ajjar am Dienstag in Bagdad. Nur rund 21 Prozent hätten sich gegen die Verfassung ausgesprochen.

Die überwältigende Zustimmung wird freilich dadurch getrübt, dass die regionale Verteilung der Ja- und Nein-Stimmen die tiefe Kluft demonstriert, die sich mittlerweile zwischen den arabischen Schiiten und Sunniten sowie den Kurden aufgetan hat. Während die Verfassung in den schiitisch und kurdisch dominierten Provinzen mit teilweise über 90 Prozent Ja-Stimmen einen Erdrutschsieg verbuchen konnte, wurde sie von Sunniten trotz Nachbesserungen in letzter Minute genauso überwältigend abgelehnt. In drei mehrheitlich arabisch-sunnitischen Provinzen lehnte einer Mehrheit der Wähler das Grundgesetz ab. In Anbar (Ramadi, Falludscha) votierten 97 Prozent der Stimmberechtigten mit Nein, in Salahaddin (Tikrit) waren es 81 Prozent. In Ninive mit der Provinzhauptstadt Mossul erreichten die Nein-Stimmen knapp 56 Prozent. In einer vierten Provinz, Diala (Bakuba), erreichten die Gegner immerhin noch 48 Prozent.

Damit sind die Sunniten zwar gescheitert, in drei Provinzen eine Zweidrittelmehrheit gegen das Grundgesetz zu erreichen. Diese Regelung sollte verhindern, dass eine neue Verfassung gegen die Minderheiten der sunnitischen Araber und der Kurden verabschiedet werden kann. Doch ein Erfolg für alle Iraker, wie es Ajjar nannte, ist das jetzige Ergebnis kaum. „Es ist ein zivilisierter Schritt, der den Irak auf den Weg der Demokratie bringt“, sagte Ajjar.

Erfreulich war an der Abstimmung allenfalls, dass die Sunniten nach ihrem Boykott der Parlamentswahl im Januar diesmal in großer Zahl an die Urnen gingen. Landesweit lag die Wahlbeteiligung bei rund 63 Prozent. Überschattet wurde das Referendum von Vorwürfen der Wahlfälschung, die dazu führten, dass das Endergebnis erst mit einer einwöchigen Verspätung bekannt gegeben werden konnte. Nachdem die lokalen Wahlkommissionen aus einem Großteil der Provinzen Wahlergebnisse von mehr als 90 Prozent Ja- bzw. Nein-Stimmen meldeten, ordnete die Kommission unter anderem in Basra, Erbil und Ninive eine Nachzählung an. In Ninive, wo die Sunniten einer starken kurdischen sowie turkmenischen und christlichen Minderheit gegenüberstehen, hatten Kommissionsmitglieder eine Dreiviertelmehrheit für das Grundgesetz verkündet. Zwar wies die Wahlkommission darauf hin, dass diese Angaben nicht amtlich seien. Doch äußerte sie sich auch nicht zu den Vorwürfen der Manipulation.

Es seien keine maßgeblichen Fälschungen festgestellt worden, sagte Ajjar in Bagdad. Da in Kurdistan eingeweihte Politiker im privaten Gespräch Manipulationen in größerem Stil eingeräumt haben, ist das wenig glaubwürdig. So sollen in der Provinz Erbil knapp 85 Prozent der Wähler an die Urnen gegangen sein, in Suleimania sollen es 70 Prozent gewesen sein. Beobachter vor Ort haben in beiden Regionen indes eine deutlich geringere Wahlbeteiligung als im Januar festgestellt. Damit hängt über dem jetzt verkündeten Ergebnis der Ruch, es sei in politischen Verhandlungen hinter verschlossener Tür zustande gekommen, ein Vorwurf, der bereits im Januar laut wurde. Da die Wahlen unter Leitung der UNO stehen, droht damit auch sie in Misskredit zu geraten. Für Demokratie – und vor allem die Sunniten, die sich jetzt möglicherweise um ihren Erfolg an den Urnen betrogen sehen – ist das kein gutes Omen.