piwik no script img

In schwer verständlichen Zungen reden

NEUE MUSIK Das Festival „Ultraschall“ setzt dieses Jahr auf Vielfalt in kleinen Besetzungen

Die Neue Musik zu schelten ist eine wohlfeile Angelegenheit. So wirklich recht machen können es Komponisten heute fast niemandem. Entweder man findet die Musik zu sperrig, spröde und hörerabgewandt, oder man entdeckt in ihren „populäreren“ Ausprägungen ästhetische Beliebigkeitstendenzen, seien es neoromantischer Wohlklang oder das Arbeiten mit „artfremden“ Genres von Techno bis Jazz.

Wenn daher das Festival Ul­traschall, das noch bis Sonntag die jüngeren Entwicklungen der akademischen Musik präsentiert, in dieser Ausgabe auf Vielfalt setzt, kann das Fluch und Segen zugleich sein, je nach den eigenen Hörbedürfnissen. Wobei die Bereitschaft, sich in ein Konzert mit Neuer Musik zu setzen, ja zumindest eine Offenheit für musikalische Erfahrungen jenseits des Vertrauten erfordert. Was immer stark abhängig ist von der eigenen Hörbiografie.

Musikalität leiser Geräusche

Neue „Berliner“ Musik im engeren Sinne bietet dabei das Konzert am Freitag in der Heilig-Kreuz-Kirche mit dem Zafraan Ensemble: Die Beteiligten sind alle mit der Hochschule für Musik Hanns Eisler verbunden. Sowohl die Zafraan-Instrumentalisten als auch die vorgestellten jungen Komponisten haben dort studiert. Zudem leben der in Israel geborene Eres Holz, der Schweizer Stefan Keller und der aus Bayern stammende Johannes Boris Borowski allesamt in Berlin. Was sie noch verbindet: Die drei sind in ihrer stark akademisch geprägten Musik durchaus um einen individuellen Ausdruck bemüht, als Kommunikation mit dem Publikum über alle avancierten Kompositionsverfahren hinweg. Zum Mitsingen gibt es bei ihnen wenig, doch das sollte eben auch nicht das einzige Kriterium für „Zugänglichkeit“ sein.

Besonders gut einhören kann man sich unter Umständen in Musik mit gerade einmal einem Interpreten. Zwei solche Gelegenheiten bieten sich am Sonntag im Radialsystem V mit den Solo-Recitals der Violinistin Barbara Lüneburg und des Pianisten Christoph Grund. In beiden Konzerten sind Uraufführungen zu hören, in denen das Soloinstrument mit Elektronik kombiniert wird: Lüneburg spielt ein für das Deutschlandradio komponiertes Auftragswerk der irischen Komponistin Karen Power; Grund ein im Auftrag des rbb geschriebenes Stück des in Berlin lebenden Komponisten Mark Andre, der seine Fähigkeit, der Musikalität allerleisester Geräusche nachzuspüren, auf elektrisierende Weise immer eleganter verfeinert. Grunds Konzert ist nebenbei ein schönes Beispiel für das Gegenüberstellen von allerneuester Neuer Musik und einigermaßen abgehangener Neuer Musik. So findet sich Andres Komposition in Gesellschaft zweier Klaviersonaten der Russin Galina Ustwolskaja, die in ihrem religiös geprägten Schaffen weniger zimperlich vorgegangen ist: Ihre Klaviersonate Nr. 6 von 1988 wird durchgehend mit den Fäusten auf den Tasten ausgeführt.

Tim Caspar Boehme

Ultraschall, noch bis 24. Januar, Programm unter www.ultraschallberlin.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen