: Im Anwohnerpark
MANJA PRÄKELS
Teil 19: Deine blauen Augen
Der Schneemann hat ja keine Beine.“
„Schneemänner mit Beinen gibt’s doch gar nicht!“
„Na klar, wie doof bist DUUUU denn?“
Kleine, in Weltraumkleidung verpackte Stadtbewohner schrien mit piepsenden Stimmen durcheinander, während ihnen der Rotz aus den Nasen lief. Dass einige der Kinder noch sprachlos nebendran standen und den fremdartigen Niederschlag bestaunten, störte niemanden weiter. Sie waren eben neu und wohnten in der Turnhalle. Die Aufregungen der Erwachsenen hatten sich für einen Moment unter den Schnee gelegt, der die Stadt, die kleine Straße, das Areal zwischen Friedhof, Kaufhalle, Bioladen und blaulichtsanft bedeckte, friedvoll und zur Freude aller. Fast aller.
Lale schlich geduckt am letzten unsanierten Haus vorbei, überquerte die Straße und stand eine Weile unentschlossen vorm blaulicht. Drinnen hockten Hildegard, Fritze und … Anne, die Chefin vom Bioladen, was sie wirklich verblüffte. Lale wollte nicht, dass die sie so sah. So lädiert... Bis Schichtbeginn war noch ein bisschen Zeit. Sie zog ihre Wollmütze tief ins Gesicht und beschloss, noch einmal um den Block zu laufen. Aber obenrum. Sie dürfte auf keinen Fall Django begegnen. Der beste Gitarrist der Welt war nicht mehr ihr Freund. Oder doch? Erinnerungen und Gedanken purzelten in Lales Kopf durcheinander, das Herz tat ihr weh und die Augen. Alle beide. Schluchzend machte sie sich auf den Weg.
„Scheiß Schnee!“
Fritze war auch ohne Flockenteppich wackelig auf den Beinen. Dass Hildegard sein Geheimnis tatsächlich der Bioladentante verraten hatte, nagte schwer an ihm. Das Unbehagen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Die Wirtin des blaulichtschenkte die Gläser voll und schritt zur Tat:
„Anne, dit is Fritz. Fritz – Anne. Ihr wisst ja, worum’s jeht. Fritze hat dit Zeug beschafft. Müssenwa nich groß drüber reden. Seine Sache. Wat wir uns fragen, Fritze: Wird dit Zeug von irgendwem vermisst?“
Fritze atmete schwer. Er stellte seinen Stock an den Tresen und leerte sein Schnapsglas in einem Zug. Aus irgendeinem Grund hegte Anne Sympathien für den alten Gauner. Seine Verunsicherung war echt, das konnte sie sehen. Er tat ihr leid:
„Wir fragen uns doch nur, wer hinter der Explosion steckt. Wem kann daran gelegen sein, unsern Hof in die Luft zu jagen?“
Die Uhr im Gastraum tickte. Anne blähte die Nasenflügel. Sie fürchtete seine Antwort. Auch Hildegards Augen ruhten einzig auf Fritz.
„Seid ihr bekloppt? Dit war nur Abfall. Wen interessierts?“
Das schallende Gelächter, das nun aus dem Brustkorb des herzkranken Freundes hervor brach, ließ die Wirtin erleichtert ihre Hände überm Kopf zusammen schlagen.
„Und ick dachte schon, jetzt hamwa die ukrainische Mafia am Hals!“
Umstandslos griff sie zum Rum und schenkte eine neue Runde aus. Nur Anne schüttelte den Kopf: „Ich muss rüber. Meine neue Aushilfskraft ...“
Mit angelassenem Motor stand der Chauffeur auf dem Parkplatz neben der Kaufhalle. Er umklammerte seine schmerzende Hand mit der anderen, der heil gebliebenen und wusste nicht, wohin. Wo sich noch am Vortag das Büro seines Chefs befunden hatte, war er am Morgen von leeren Büros und abgerissenen Klingelschildern begrüßt worden. Nicht ein Schnipsel erinnerte mehr an die Firma, für die er zwanzig Jahre seines Lebens hergegeben hatte. Ohne Warnung. Keine Nachricht. Nur das Auto war ihm geblieben. Die Papiere aber wiesen einen Halter aus, den er nur dem Namen nach kannte. „Mein Schwager“, hatte der Chef damals gesagt. „Aus Steuergründen.“ Was für ein Idiot er gewesen war. Ein nützlicher und jetzt auch noch einhändiger Versager. Als Oma Heinrich mit ihrem Bienchen um die Ecke bog, schmiss er sich – lautlos schreiend – auf den Beifahrersitz.
Heiner Müller, der gar nicht Heiner Müller war, nicht mal so hieß, sich aber mit der Rolle abgefunden hatte, stand frierend im Hinterhof des letzten unsanierten Hauses. Er liebte den neuen Mantel, den er sich zu Weihnachten geleistet hatte. Er war überzeugt davon, dass das nicht ging: zugleich gut und praktisch gekleidet sein. Wie ihn diese Unzumutbarkeiten der Wintermode anödeten! Zufrieden betrachtete er sein Spiegelbild in Djangos Küchenfenster im Erdgeschoss. Dieser Idiot hatte versprochen, ein bisschen Koks zu besorgen. Doch er kam einfach nicht. Angesichts der Nachrichtenlage war sein Fernweh unerträglich geworden. Und kein Urlaub weit und breit. Einer alten Gewohnheit folgend war er ausgerechnet hier gelandet. Fritze zu fragen, war ihm unpassend erschienen. Heiner Müller zündete sich eine Zigarre an und wartete.
„Überleg mal: Hier sind doch allet Weiße.“
„Na und?“
„Die Helfer da, inner Turnhalle, dit sind reiche Weiße.“
„Reich?“
Manja Präkels,Jahrgang 1974, schreibt, singt und tourt mit ihrer Band Der Singende Tresen. Soeben erschien beim Verbrecher Verlag die von ihr mit Markus Liske herausgegebene Textsammlung „Vorsicht Volk!“. Seit 2009 betreiben die beiden die Gedankenmanufaktur WORT & TON. Ihr Romandebüt „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ erscheint 2016.
Illustriert wird die „Im Anwohnerpark“-Serie von Maria MacDonald, cargocollective.com.
„Na weeßt schon. Nich so wie wir. Keene Hartzer. Bioladenpublikum.“
„Ich versteh nich, worauf du hinauswillst.“
Seit seiner kleinen Flugeinlage schien Lolle wie ausgewechselt. Er führte unentwegt Gespräche am Tresen, begrüßte sogar die Touristinnen und Geschäftsleute freundlich, die sich nachts ins blaulichtverirrten. Sein bis dato stummer Trinkkumpan Heiko war vollkommen überfordert. Er begriff nicht, was geschah, und es konnte vorkommen, dass er ohne eine Wort des Abschieds den Raum verließ. „Polnischer Abgang!“, rief Lolle dem fliehenden Freund dann hinterher. Doch der hatte längst keine Ohren mehr. Gerade näherten sie sich wieder einem solchen Punkt. Da riss Lale, viel zu spät und offenkundig sturzbetrunken, die Tür zum Gastraum auf.
Hildegard starrte entsetzt zur Tür: „Wat is dir denn passiert?“
Die beiden Blutergüsse, die Lales Augen fast vollständig verdeckten, zogen alle Blicke auf sich.
„Django, die Sau!“, knurrte Sprottenpeter vernehmlich.
„Quatsch, dasssss waaar er gar nich!“, kiekste Lale jämmerlich zurück.
Da erhob sich Heiko von seinem Tresenplatz:
„Na wer denn dann? Eener vonne Kanaken, oder wat?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen