Mehr als eine trotzige Geste

Mythen ranken sich um die mutige Rosa Parks. Sie war jedoch keine Einzelkämpferin, sondern Teil einer erstarkten schwarzen Bewegung

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Manchmal beginnt Geschichte dort, wo Menschen einfach die Nase voll haben. Im Fall der Rosa Parks war es das spontane Gefühl, dass sie nicht mehr mag, müde ist der Ungerechtigkeit, die ihr tagtäglich widerfährt. Mit der kleinen, gesundheitlich stets angeschlagenen Frau aus dem schwarzen Süden starb am Montag ein kraftvolles Symbol der US-Bürgerrechtsgeschichte. Denn als sich Rosa Parks, eine Schneiderin aus Montgomery, Alabama, 1955 weigerte, ihren Platz im Bus für einen Weißen zu räumen, war dies der Funke, den die Aktivisten um Dr. Martin Luther King benötigten, um loszulegen. „Nur wenige Menschen können von sich sagen, dass ihre Aktionen und ihr Verhalten das Gesicht der Nation veränderten. Rosa Parks ist ein solcher Mensch“, würdigte sie am Montag der demokratische Kongressabgeordnete John Conyers.

60 Jahre ist es her, dass sich ihr kleiner Akt der Auflehnung gegen Unterdrückung und Rassismus zunächst in einen 381 Tage währenden Busboykott der Schwarzen von Montgomery verwandelte und schließlich in ein Urteil des Obersten Gerichtshofes der USA mündete. Parks Verhaftung und Verurteilung lösten Massendemonstrationen aus und machte den Pfarrer Martin Luther King zum berühmtesten schwarzen Bürgerrechtler. Was in Montgomery begann, sollte das Leben der schwarzen US-Bevölkerung verändern.

In dem, was aus heutiger Sicht kaum mehr als eine trotzige Geste wäre, wurde plötzlich für jedermann, weit über Montgomery hinaus, sichtbar, wie grausam und demütigend die Gesetze und Gepflogenheiten der Rassentrennung waren. Die Segregation war umfassend. Ob Schulen, Busse, Kinos oder Restaurants – Schwarze hatten im Nachkriegsamerika per Gesetz stets zu weichen, wenn Weiße auftauchten. Sie waren Menschen zweiter Klasse.

Keine der Legenden jedoch, die sich schon zu Lebzeiten um Rosa Parks rankten, trifft zu. Weder war sie eine erschöpfte alte Putzfrau mit wunden Füßen, die sich nicht erheben konnte. Noch war sie das von der Nationalen Vereinigung zur Beförderung der Farbigen (NAACP) beauftragte Opfer, wie böse Zungen behaupten.

Nein, Parks war, als sie nicht aufstehen mochte, 42 Jahre alt, hatte sich seit Jahren gemeinsam mit ihrem Mann für die Rechte der Schwarzen in ihrer Heimatstadt engagiert. Sie beteiligte sich an Wähler-Registrierungsaktionen und beim Fundraising für die Verteidigung der „Scottsboro Boys“, ein damals unter Aktivisten populärer Fall von neun schwarzen Jungs, denen angeblich die Vergewaltigung zweier weißer Frauen untergeschoben worden war.

Parks hatte in den Monaten vor ihrem Sitzstreik auf Drängen eines befreundeten weißen Paares, bei dem sie zuvor gearbeitet hatte, an einer gemischtrassigen Konferenz von Aktivistenführern teilgenommen, „Ich fühlte mich gestärkt in meinem Einsatz für die Rechte nicht nur der Schwarzen, sondern aller unterdrückten Menschen.“ In seinem Buch „Marsch zur Freiheit“, schrieb Martin Luther King später, „Niemand kann das Verhalten von Mrs Parks verstehen, wenn ihm nicht klar ist, dass das Fass des Erduldens gelegentlich überläuft und die menschliche Seele schreit: Ich kann es nicht länger ertragen.“

Schwarze waren bereits Jahrzehnte zuvor verhaftet, ja sogar umgebracht worden, wenn sie sich weigerten, im Bus Platz für Weiße zu machen. Busse waren der einzige Ort, an dem Weiß und Schwarz auf dem Weg zur Arbeit sich wirklich begegnen mussten. Der erste bekannte Sitzstreik fand im Jahre 1900 statt. Ungehorsam und geplante Provokation waren in den Fünfzigerjahren im Süden des Landes an der Tagesordnung.

Schnell baten die entschlossenen Männer um Martin Luther King Rosa Parks um die Erlaubnis, ihre Verhaftung zum Musterprozess gegen die Gesetze der Rassentrennung zu stilisieren. Das Kalkül ging auf, die juristische Strategie war klug. Knapp ein Jahr später, am 13. November 1956, bestätigte der Oberste Gerichtshof, dass die Segregation im öffentlichen Transportsystem verfassungswidrig sei. Zwar endete der mehr als einjährige Busboykott der Schwarzen am nächsten Tag, doch die Gewalt begann. Sniper schossen in die überwiegend mit Schwarzen gefüllten Busse, Bomben flogen in Martin Luther Kings Haus und in die Gottesdienste.

Einige Monate später, nach Auseinandersetzungen mit dem schnell zum Führer und Chefstrategen der Bürgerrechtsbewegung avancierten King, zog das Ehepaar Parks nach Detroit. Rosa hatte in Montgomery keine Arbeit mehr gefunden, ihr Mann musste kündigen, nachdem man ihn unter Druck gesetzt hatte. Im liberaleren Detroit verpflichtete sie 1965 der demokratische Abgeordnete Conyer, mit dem Parks bis 1988 zusammenarbeitete.

Parks, die nie eine große Rhetorikerin war, sorgte sich später gelegentlich, dass die Bewegung und Martin Luther King oft nur als „Träumer“ dargestellt wurden. „Er war ein Aktivist, der an das Handeln glaubte und daran, Unterdrückung laut und deutlich anzuklagen“, sagte Parks später einmal.

Heute, 50 Jahre nach dem Satz „I have a dream“, der Aufsehen erregenden Rede Martin Luther Kings 1963, zeigt ein Blick auf die US-Sozialstruktur, dass Schwarze in jeder Hinsicht schlechter gestellt sind als Menschen anderer Herkunft. Deutlich belegt dies der im Januar 2004 erschienene Datenreport „The State of the Dream 2004“. Zu seinen traurigsten Ergebnissen gehört, dass die Armut unter Schwarzen dreimal höher ist als die unter Weißen.