Schnee von gestern

KLIMA Überall in Deutschland werden wegen Schneemangels Veranstaltungen abgesagt. Überall? Nein! In Ruhpolding trotzt man der Witterung und organisiert gar einen Doppel-Weltcup

Wintersport im Grünen: der Tscheche M. Ondrej in Ruhpolding F: imago

RUHPOLDING taz | Arnd Peiffer ist ein aufgewecktes Kerlchen, deshalb war er auf das zweitägige Weltcup-Intermezzo in den Chiemgauer Alpen auch bestens vorbereitet. Durchgang eins war am Sonntag mit den Massenstarts abgehakt, Durchgang zwei beginnt erst am Mittwoch mit dem Männer-Einzel. Also plante Peiffer den Ausbruch aus dem drohenden Brummkreisel. „Wenn man zwei Wochen an einem Ort ist, muss man schauen, nicht in einen Trott zu verfallen. Dass man zum Beispiel im Training nicht immer wieder die 3,3-Kilometer-Schleife läuft, die man schon aus den Rennen kennt“, überlegte der 28-Jährige, der für den freien Montag und Dienstag rasch Alternativen ins Auge fasste: „Reit im Winkl und die Winklmoosalm.“

Ausflugsziele, die Claus Pichler wie seine Westentasche kennt, momentan allerdings links liegen lassen muss: Wegen des Doppel-Weltcups in seiner Gemeinde ist Ruhpoldings Bürgermeister gerade im Dauereinsatz. Die skijägernden Gäste bleiben diesmal länger, und nun kommt der richtige Weltcup. Der, den der 6.800-Seelen-Ort im bayerischen Voralpenland Jahr für Jahr in der ersten Januarhälfte austrägt.

Bei der Ersatzveranstaltung für den ausgefallenen Weltcup von Oberhof sind Pichler, der zugleich Organisationschef ist, und seine Mitarbeiter schon mal glimpflich davongekommen: Vor allem die Frauen, die jeweils das Pech der späteren Startzeit hatten, plagten sich durch den tiefen, aufgeweichten Kunstschnee. Der befürchtete Regen aber ging nur beim Jagdrennen der Biathletinnen am Samstag über der Strecke nieder.

„Ich glaube, heute ist jeder von uns ein paar Jahre gealtert“, mutmaßte Lokalmatador Andreas Birnbacher nach der Verfolgung. Halb so wild, hielt Supermann Martin Fourcade dagegen: „Es war wirklich warm draußen. Aber wir müssen den Leuten hier applaudieren für alles, was sie getan haben.“

Solche Komplimente hört Claus Pichler gern, doch als Ur-Ruhpoldinger ist er weiterhin auf Überraschungen gefasst. Für Montag und Dienstag war ergiebiger Regen vorhersagt, ab Mitte der Woche soll in der oberbayerischen Biathlon-Hochburg dann ein selten gewordenes Naturschauspiel zu bewundern sein: Schnee! Und zwar richtiger – der vom Himmel herabsegelt und nicht aus irgendwelchen Depots herangekarrt oder in sündhaft teuren Schneefabriken produziert werden muss.

Pichler, ein baumlanger Kerl mit Trachtenhut auf dem Kopf, bekommt leicht glänzende Augen bei diesem Ausblick. „Es bleibt spannend mit dem Wetter“, bremst er seine Euphorie aber umgehend ein, sagt fragend: „Bisher gibt es keine Bedenken, dass wir auch den zweiten Weltcup gut über die Bühne bringen. Die Kunstschneemenge ist ausreichend. Aber was ist am nächsten Wochenende? Ich kann mich zum Beispiel an Stürme erinnern, mit denen wir hier im Januar zu kämpfen hatten.“

Im November fing man an, Kunstschnee aus dem vorigenWinter auf dieStrecke zu schaufeln

In diesem Jahr war bislang der Gegner allein der fehlende Schnee. Schon im November begannen Helfer damit, die ersten 3.000 der 15.000 aus dem vorigen Winter hinübergeretteten Kubikmeter Kunstschnee auf die Strecke zu schaufeln. Aus dem nahegelegenen Reit in Winkl und dem österreichischen Hochfilzen kamen weitere Ladungen. Und während von Klingenthal über Schonach und Ofterschwang bis Adelboden ein Wintersportort nach dem anderen Weltcups absagen musste, erledigten die Schneemaschinen des DSV für die Skijäger alles Übrige.

Der Respekt vor den Tücken der Natur bleibt bestehen, gerade bei Claus Pichler. „Wenn kein Wind kommt, schaut’s gut aus. Aber wir sind eine Freiluftsportart“, sagt er und verspricht: „Wir geben unser Bestes. Denn das hier zu schaffen – auch das ist eine sportliche Herausforderung.“ Andreas Morbach