Stummel in Plastiktüten

Polizisten sammelten nach einer Antiatomkundgebung Zigarettenkippen ein. Betroffene vermuten, dass sie genetisch untersucht werden sollen, um Hinweise auf militante Castor-Aktionen zu erhalten

Von Reimar Paul

Anfang des Jahres übten sich die Atomkraftgegner im vorauseilenden Gehorsam. Einige Dutzende Demonstranten trafen sich im Februar auf dem Marktplatz in Lüchow, um öffentlich Proben für DNA-Analysen abzugeben. Spucke, Haare, Hautschuppen, benutzte Taschentücher und Kondome wurden eingesammelt und in großen Glasbehältern verschlossen. „Die schicken wir an Schily, Schünemann und Beckstein“, erklärte die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg damals die Aktion. „Das Ergebnis der Erbgutsammlungen aus dem Wendland können die Minister dann zu gegebener Zeit auf ihren Schreibtischen begutachten und analysieren.“

Die Realität hat offenbar den satirischen Protest gegen die von den genannten Politikern befürwortete Ausweitung von Gentests bereits eingeholt. Nach einer Demonstration in Uelzen am vergangenen Samstag gegen den bevorstehenden Castortransport sollen Polizisten Zigarettenkippen der Kundgebungsteilnehmer aufgeklaubt haben. „Die Beamten hatten Handschuhe an und haben die Stummel in Plastiktüten gepackt“, berichtet ein Zeuge. Die „Antifaschistische Aktion Lüneburg/Uelzen“ hält es für wahrscheinlich, dass Polizeiexperten die Kippen nun genetisch untersuchen wollen. „Es ist davon auszugehen, dass sämtliche Zigarettenreste einer DNA-Analyse unterzogen werden“, erklärte die Gruppe gestern. Die Ergebnisse, so die Vermutung, könnten in die Ermittlungsverfahren einfließen, die teils seit Jahren wegen militanter Antiatomaktionen laufen. Um Hakenkrallen-Würfe auf elektrische Oberleitungen und Brandanschläge auf eine Eisenbahnbrücke bei Hitzacker sowie zuletzt auf eine Containersiedlung der Polizei in der Nähe von Lüchow aufzuklären, richtete das niedersächsische Landeskriminalamt Sonderkommissionen ein.

Dingfest machen konnten die Fahnder bislang aber niemanden. Die zuständige Polizeidirektion Lüneburg weiß angeblich auch nichts von dem Kippenauflesen. „Das hört sich an wie ein Gerücht“, so Sprecher Thomas Glieze. „Für eine vergleichende DNA-Analyse müsste man ja auch ein Gegenstück haben.“

So unangenehm und befremdlich das polizeiliche Kippensammeln auf die Betroffenen gewirkt haben mag – etwas „Illegales“ haben die Beamten auch dann nicht getan, wenn die Vorwürfe zutreffen. Schließlich wurde in Uelzen niemand aufgefordert oder gar gezwungen, eine Speichelprobe und damit seinen genetischen Fingerabdruck zu hinterlassen.

Ob DNA-Spuren an den Tabakresten und angekauten Filtern der Uelzener Castorgegner mit Daten in der Gendatei des Bundeskriminalamtes abgeglichen werden, bleibt vorerst Spekulation.

Nach der bisherigen Rechtslage ist die DNA-Analyse nur bei besonders schweren Straftaten wie etwa Sexualdelikten und nach richterlicher Anordnung zulässig. Den Hardlinern unter den Innenpolitikern zumindest von Union und SPD ist diese Regelung aber zu eng. Längst fordern Schünemann, Beckstein und Co. eine Gendatei für alle Straftäter, erklärtermaßen sind sie auch für Gentests nach Ordnungswidrigkeiten oder Antiatomprotesten. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sagte, er könne sich DNA-Tests auch für Castorgegner vorstellen, wenn diese der Polizei mehrfach aufgefallen seien. Auffallen können Atomgegner den Ordnungshütern gerade bei den Castortransporten bekanntlich sehr schnell.

Die populistische Forderung nach Ausweitung der Gentests werde derzeit kaum öffentlich hinterfragt, sagt BI-Sprecher Dieter Metk. Er fürchtet, „dass sich diese unglaublichen Begehrlichkeiten der innenministeriellen Datensammler auf Dauer nicht verhindern lassen“.