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: HELMUT HÖGE über das Verschwinden der Betriebsräte

Die Zerstreuung der Arbeiterbewegung im Detail

Freigestellte Betriebsräte sind so gut wie unkündbar – sie machen für gewöhnlich als Letzte das Licht im Betrieb aus. Seit der Wende ist jedoch alles anders. So wurde z. B. dem Betriebsratsvorsitzenden des Batteriewerks Belfa in Schöneweide Hanns-Peter Hartmann sofort nach der Privatisierung seiner Firma gekündigt – mit der Begründung: „Wir brauchen Sie nicht mehr, Herr Hartmann, der Klassenkampf ist beendet!“ Als Nachrücker von Stefan Heym gab er daraufhin ein kurzes PDS-Gastspiel im Bundestag – und wurde dann arbeitslos. Inzwischen ist er Rentner und hält Ziegen auf einem kleinen Bauernhof in Polen.

Auch für die Westberliner Betriebsräte änderte sich ab 89/90 vieles: Der Betriebsratsvorsitzende von Krupp Stahlbau Karl Köckenberger schaffte sich beizeiten ein zweites Standbein an – indem er den Kinderzirkus Cabuwazi gründete. Dann wurde in Ostberlin erst die Firma „B-Stahl“ abgewickelt und schließlich auch Krupp Stahlbau: Kurz vor Fertigstellung des letzten Großauftrags rückte um Mitternacht die Geschäftsführung mit Lkws an, um heimlich alle Teile und Maschinen nach Hannover zu schaffen. Der Belegschaft und Köckenberger gelang es zwar noch, den Abtransport mit einer Menschenkette zu verhindern. „Aber danach war trotzdem Schluss!“

Ähnlich kriminell ging es bei der Elpro AG in Marzahn zu, einst eines der DDR-Vorzeigeunternehmen. Beim Versuch, sich gegen den Plattmachwunsch von Siemens zu wehren, landeten am Ende einige Geschäftsführer vor Gericht und einer im Knast. Die Elpro AG war irgendwann verschwunden – ihr Betriebsrat Jürgen Lindemann wurde arbeitslos. Auch seinen nächsten Arbeitsplatz, bei einem Ingenieurbüro, verlor er bald. Zudem hatte er sich wie auch Hanns-Peter Hartmann von seiner Abfindung eine Eigentumswohnung in Kassel zugelegt, die unvermietbar war, so dass er bald auch noch einen Haufen Schulden hatte. Heute ist er in der Initiative Berliner Bankenskandal aktiv.

Der Betriebsratsvorsitzende von Narva, Michael Müller, ein gelernter Schweißer, kuckte sich erst in Lateinamerika nach einem Job auf einer Finca um, dann nahm er eine Stelle als Hausmeister auf dem ehemaligen Narva-Gelände an. Unauffindbar sind der ehemalige Betriebsratsvorsitzende von Orwo, Hartmut Sonnenschein, sowie der Betriebsratsvorsitzende der DDR-Reederei DSR, Eberhard Wagner: Angeblich soll er in Bremerhaven für ein Forschungsschiff verantwortlich sein.

Bis jetzt gehalten hat sich dagegen der Betriebsratsvorsitzende des Werks für Fernsehelektronik in Oberschöneweide, Wolfgang Kippel. Bei unserem letzten Gespräch war er noch ganz optimistisch: „Wer es schafft, bei Samsung reinzukommen, der verlässt den Betrieb als Rentner“, meinte er. Damit wird es nun leider nichts mehr, auch sein Job läuft wohl aus. Einer, der nie so optimistisch war, aber dennoch immer noch als Betriebsrat wirkt, ist Gerhard Lux. Er arbeitet in einem AEG-Werk in Marienfelde. Auch die AEG wurde inzwischen abgewickelt, aber seinen Betriebsteil übernahm ein französischer Konzern: „Wie lange das gut geht, weiß ich nicht“, meinte er auf der letzten 1.-Mai-Demo der Gewerkschaften. Und schlug dann ein Treffen aller bis 1994 in der Betriebsräteinitiative Engagierten vor. Oben Stehende sind nur ein Teil davon und selbst bei ihnen fehlen uns Adressen.