Kaugummi Versammlungsrecht

Nach den Querelen um den Protest gegen den Zapfenstreich stellt sich die Frage, ob es in Berlin zur Methode wird, Demonstrationen mit Knebelauflagen zu erschweren

Der Zapfenstreich ist vorbei, die Gegendemonstration auch. Doch die Diskussion darüber, wie die Behörden mit dem Versammlungsrecht umgehen, fängt gerade erst an. „Eine massive Einschränkung der Demonstrationsfreiheit“ sieht Sebastian Lorenz von der Antifaschistischen Linken. Die Polizei gehe gegen Proteste immer repressiver vor.

Anlass für die Beschwerde ist, dass die Versammlungsbehörde der Demonstration gegen den Zapfenstreich äußerst kurzfristig sehr viele Auflagen erteilte (die taz berichtete). Die meisten davon hob das Verwaltungsgericht zwar wieder auf, doch das Vorgehen hat für Lorenz Methode. Zwar verbiete die Polizei momentan seltener Demonstrationen als unter dem früheren CDU-Senat. Aber sie nutze ihren rechtlichen Spielraum immer stärker, um politischen Protest zu erschweren.

So wurden am 8. Mai die Demonstranten der NPD wie in einem Schweinegatter zusammengetrieben. Und das Konzept des „Music Day“ im Juni dieses Jahres – ein Protest von Künstlern gegen die Marktmacht großer Musikfirmen – wurde durch Auflagen zurechtgestutzt. Schon damals warnte die Anwältin der Veranstalter vor einem „Präzedenzfall“. Protestierer müssten sich auf künftige Knebelauflagen gefasst machen.

Wird das Versammlungsrecht dehnbar wie ein Kaugummi? „Dass die Polizei Auflagen kreativer handhabt, ist ein zweischneidiges Schwert“, sagt Steffen Zillich, der für die Linkspartei im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses sitzt. Es sei naiv zu glauben, dass die Polizei Maßnahmen, die sie gegen Rechtsextreme anwende, nicht auch gegen Linke verwende. „Allerdings hat sie vor Gericht meistens Recht bekommen.“ Dennoch habe es mit dem Koalitionspartner SPD schon öfter hitzige Debatten gegeben.

Auch die Opposition ist gespalten. „Nur in Einzelfällen hatte ich bisher etwas zu kritisieren“, sagt der Innenpolitiker der FDP, Alexander Ritzmann. Wenn die Behörde bei einer Nazidemo die Anzahl der Fackeln festlegen wolle, mache sie eine 50 Jahre alte Demokratie lächerlich. „Aber ein System erkenne ich in Berlin dahinter nicht.“ Dagegen fordert Volker Ratzmann, Innenpolitikexperte der Grünen, dass sich die Polizei „fragt, ob sie immer angemessen reagiert“.

In der Senatsverwaltung für Inneres sieht man genau darin kein Problem. „Wir versuchen, die mildesten Mittel anzuwenden“, sagt ein Sprecher. Das bedeute, Protest nicht zu verbieten, sondern, wenn möglich, nur einzuschränken. DAS