Vom Bauern zum studierten Landwirt

STUDIENWAHL Immer mehr junge Leute wollen Agrarwissenschaften studieren. Experten sprechen von guten Berufschancen. Hohe Bewerberzahl unter anderem in Göttingen und Kiel

High-Tech-Landwirtschaft: dank Tablet-PC hat Bauer den Kuhstall im Griff Foto: Oliver Krato (dpa)

von Joachim Göres

Die Zahl der Höfe sinkt in Deutschland seit Jahren, doch immer mehr junge Leute bewerben sich an Hochschulen und Universitäten um einen Platz für ein Agrarstudium. Für Uwe Latacz-Lohmann ist das kein Widerspruch. „Die landwirtschaftlichen Betriebe sind heute High-Tech-Unternehmen“, sagt der Hochschullehrer. Sei man früher dort oft nach einer Ausbildung eingestiegen, reiche das heute nicht mehr aus. „Denn es sind auch Kenntnisse aus den Bereichen Naturwissenschaften, Management und Ingenieurwissenschaft gefragt“, so der Professor für landwirtschaftliche Betriebswirtschaftslehre und Produktionsökonomie an der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät der Uni Kiel.

Zwar ist die Zahl der in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen leicht rückläufig. Doch von den Leitern der rund 285.000 landwirtschaftlichen Betriebe hat bereits jeder zehnte einen Hochschulabschluss. Absolventen von Agrarstudiengängen sind auch bei Saatgutzüchtern, Futtermittelherstellern, Landmaschinenproduzenten und Agrarhandelsunternehmen gefragt. Im gesamten „Agribusiness“, sprich der Produktion, Verarbeitung und dem Vertrieb von Lebensmitteln, sind nach Schätzung des Bauernverbands gar 4,6 Millionen Menschen beschäftigt.

Der Trend zur Akademisierung ist an der Kieler Fakultät zu merken, die 2.500 Studierende hat. Zum Wintersemester hatten sich 650 junge Leute auf die 205 Plätze im Studiengang Agrarwissenschaften beworben. Für die Bachelor-Studenten stehen nicht nur Seminare über Nutzpflanzen und Nutztiere auf dem Programm, sondern sie setzen sich auch mit Themen wie Volkswirtschaftslehre und Landtechnik, Chemie, Statistik und Physik auseinander. Für manchen kein leichter Stoff.

„Die Abbrecherquote ist gering, die Motivation der Studierenden hoch“, betont Latacz-Lohmann. Nach dem sechs Semester dauernden Bachelor machen mehr als die Hälfte im Master-Studiengang weiter, der vier Fachrichtungen anbietet. Vor allem der Schwerpunkt Agribusiness ist wegen der guten Berufschancen begehrt, der Master in Umweltwissenschaften dagegen weniger.

Latacz-Lohmann sieht zwei etwa gleich große Gruppen von Studierenden: Die einen kommen vom Hof, den sie nach dem Studium übernehmen wollen. Die anderen sind vor allem an Themen wie Ernährung, Klimawandel und Nachhaltigkeit interessiert und arbeiten später bei Verbänden oder Unternehmen. 70 Prozent der Kieler Agrarwissenschaft-Studierenden sind Frauen, Tendenz wachsend.

Landwirtschaft boomt auch an der Uni Göttingen. „Wir hatten zuletzt 460 Erstsemester. In diesem Jahr werden wir nur noch 300 Bewerber aufnehmen, weil unsere Plätze erschöpft sind“, sagt Studiendekan Christian Ahl. So eine starke Nachfrage gab es zuletzt in den 80er- Jahren. Damals kamen viele von den elterlichen Betrieben. Doch diese Zahl sei zurückgegangen, berichtet Ahl. „Heute werden die Bewerber von den sehr guten Berufsaussichten in der Landwirtschaft gelockt, denn das Agrargeschäft wächst und Fachleute werden gesucht.“

Insgesamt zählt das Fach Agrarwissenschaften in Göttingen 2.600 Studierende. Und es sollen noch mehr werden. Im Sommer 2016 starten die ersten Module des berufsbegleitenden Master-Studiums Agribusiness. Es soll Agrar- und Wirtschaftswissenschaftler sowie Quereinsteiger innerhalb von sechs Semestern auf Managementaufgaben in Agrarunternehmen vorbereiten, über Online-Angebote und Präsenzwochenenden.

Mit dem Bachelor-Studiengang „Ökolandbau und Vermarktung“ und dem Master „Öko-Agrarmanagement“ gehört die Hochschule Eberswalde nördlich von Berlin neben der Hochschule Kassel-Witzenhausen zu den Anbietern eines Studiums mit dem Schwerpunkt Ökologischer Landbau. Dort geht es in den Seminaren um Grundlagen des ökologischen Acker- und Pflanzenbaus, um ökologische Lebensmittelverarbeitung und Produktqualität sowie um Agrar- und Umweltpolitik. Im vierten Semester gewinnen die Studierenden in einem Praxissemester Einblicke in die Arbeit eines ökologischen Landwirtschaftsbetriebs oder eines Bio-Lebensmittelunternehmens. Durch diese Kontakte ergeben sich häufig schon vor dem Bachelor-Abschluss Stellenzusagen.

„Die Berufschancen sind so gut, dass wir Probleme haben, gute Leute für eine Promotion bei uns zu halten“

Uwe Latacz-Lohmann, Hochschullehrer der Agrarwissenschaften Uni Kiel

Anna Evertz studiert im siebten Semester in Eberswalde Ökolandbau. „Bei uns gab es zuletzt 200 Bewerber auf 50 Studienplätze. Das Interesse von jungen Leuten an der ökologischen Bewirtschaftung ist sehr groß. Sie wollen einen Beitrag zur nachhaltigen Lebensweise leisten und etwas gegen die Zerstörung der Umwelt tun“, sagt die 23-Jährige, die mal einen Betrieb mit Milchkühen und Ackerbau nach ökologischen Grundsätzen führen will.

Die Praktiker an die Fachhochschule, die Theoretiker an die Universität – von dieser Aussage hält Latacz-Lohmann nichts. „Wer an der Uni Kiel Agrarwissenschaften studieren will, muss vorab ein dreimonatiges landwirtschaftliches Praktikum nachweisen“, sagt er. „Die Anwendung des erlernten Wissens steht bei uns früher im Mittelpunkt des Studiums als das vor Jahren üblich war.“

Die starke Nachfrage nach seinen Absolventen sieht Latacz-Lohmann übrigens mit einem weinenden Auge: „Die Berufschancen sind so gut, dass wir Probleme haben, gute Leute für eine Promotion bei uns zu halten.“

Näheres über die Studiengänge: www.agrarwissenschaften.de