SchülerInnen aus den beiden am Heimat-Projekt beteiligten Sprachförderklassen der Otto-von-Guericke-Sekundarschule in Wilmersdorf: Sehem, Reem, Iman, Belgis, Pamela, Batol, Hammayoun, Lehrerin Zeynep Chahrour, Humam, Emira, Abdullah, Ossama, Denard, Baraa (von links). Der Lehrer der zweiten Klasse, Norbert Weitel, ist nicht auf dem Bild

„Wenn man keine Heimat hat, sucht man eine andere“

HeimatErstaunliche Einsichten liefern die Texte von Flüchtlingskindern, die im Rahmen des Projekts „Verletzte Heimat“ entstanden. Sie sind poetisch und verspielt, intelligent und witzig, sehnsuchtsvoll und berührend

Indrit, 15, aus dem Kosovo

Welche Farbe hat mein Land?

In meinem Land spiele ich mit meinen Freunden. Ich gehe in die Schule. Aber es ist nicht so, wie ich will.

Für mich hat mein Land eine schwarze Farbe, weil alle Leute arrogant sind und einander nicht helfen.

Alle machen zap-zarap (Slang für Klauen – Anm. d. Red.) in den Geschäften oder an einem anderen Platz. Das ist schwierig für mich.

Ich möchte ein gutes Leben. Etwas ist nicht gut in meiner Heimat.

Ich muss sagen, sie hat eine schwarze Farbe. Aber ich möchte das nicht sagen.

Ich möchte in meinem Land leben. Wie jedes Kind in seinem Land leben möchte, mit Geld, Essen, Schule.

Aber das passiert nicht, weil die Leute so sind.

Ich hoffe, mein Land bekommt irgendwann wieder die weiße Farbe. Keine schwarze.

Es ist schwer für mich, denn ich bin nur ein Kind.

Ich möchte nicht so leben.

Ich hoffe, in Zukunft wird mein Leben besser sein – für alle.

Mein Land Kosovo hat eine schwarze, schwarze Farbe.

Emira, 14, aus dem Kosovo

Wenn man keine Heimat hat, sucht man eine andere Heimat.

Man kann eine Heimat finden.

Beispiel:

Man findet eine neue Heimat, wenn man woanders lebt und wohnt.

Manchmal ist man dann traurig.

Man vermisst seine Heimat.

Dann kann man ein Buch nehmen und über seine Heimat lesen.

Oder man macht etwas anderes, ich weiß nicht …

Ich habe eine Heimat, aber ich bin hier in eine neue Heimat gekommen.

Wenn ich meine Heimat vermisse, weine ich.

Dann lese ich etwas oder spiele mit meiner Schwester und ich vergesse alles oder ich schlafe.

Als ich das erste Mal hier her gekommen bin, habe ich meine Heimat vermisst, aber jetzt nicht mehr, weil: Ich weiß es nicht mehr.

Ich fühle mich jetzt hier zu Hause.

Isak, 13, aus Mazedonien

Was „Alternative“ bedeutet:

Wenn ich kein Land habe und wenn ich keine Heimat fühle, dann muss ich eine suchen.

Ich brauche eine Alternative für mein Land.

Eine Alternative ist: Wenn ich keinen Saft habe, habe ich Milch.

Wenn ich kein Gewürz habe, habe ich Salz.

Wenn ich keinen Kugelschreiber habe, habe ich einen Bleistift.

Ich habe keinen Computer, aber ich habe einen Laptop, das bedeutet eine Alternative haben.

Wenn die Realität nicht so ist, wie sie ist, habe ich Fantasie.

Heimat in der Fantasie.

Im Jahr 2099 ist in meiner Heimat alles besser.

Alle Leute funktionieren mit Batterien.

Sie fliegen zur Sonne, Wasser kann fliegen.

Vögel laufen wie Menschen.

Leute fliegen zu Planeten, und alle Leute fliegen in 84 Jahren.

Osama, 13, aus dem Jemen

Ich baue ein neues Haus für meine Heimat.

Es ist ein jemenitisches Haus.

2050 ist es ein modernes Haus.

Es ist ein Haus aus Glas.

Es ist ein großes Haus.

Es ist ein weißes Haus.

Es hat zehn Fenster.

Ist der Begriff „Heimat“ sehr deutsch? Ja, sagt der Sprachwissenschaftler Manfred Krifka von der Humboldt-Uni zu Berlin. „Heimat wird von nicht deutschsprachigen Menschen als typisch deutsch wahrgenommen, so wie ‚Gemütlichkeit‘ “. Gemütlich muss die Heimat schon sein, denn 44 Prozent der Deutschen verbinden Geborgenheit, Zufriedenheit oder Sicherheit mit dem Wort Heimat, wie eine Umfrage zur ARD-Themenwoche „Heimat“ 2015 ergab.

Wie das portugiesische „sau­dade“, das mit „Sehnsucht“ übersetzt wird, aber eine Vielfalt an Gefühlen impliziert, lässt sich „Heimat“ in manchen Sprachen nur erklären und umschreiben, nicht eins zu eins übersetzen. In der spanischsprachigen Welt greift man auf Begriffe wie „tierra“ (Land, Erde) oder „hogar“ zurück, das wie das englische „home“ benutzt wird, und bezeichnet ursprünglich den Ort, wo sich „hoguera“ (das Feuer) zum Kochen und Aufwärmen befindet.

„Patria“ – Vaterland – wird nicht nur auf Spanisch für „Heimat“ gebraucht: „Patrida“ auf Griechisch oder „watan“ auf Arabisch (es wird auch für „Nation“ verwandt) sind genau so konnotiert. Und wer mit dem Französischen „pays d‘origine“ gleich „Herkunftsland“ nicht zufrieden ist, kann in Sprachforen mitdiskutieren, ob „chez soi“ – „bei sich“ – näher an die emotionellen Aspekte des deutschen Heimatbegriffs herankommt.

Die Chinesen bringen in „jiāxiāng“ Familie und Dorf zusammen. Romantisch und nicht patriotisch ist auch das türkische „memleket“ gemeint: ein Dorf, eine Stadt, eine Gegend oder eine ganze Region kann das Wort umfassen. Luciana Ferrando

Ich sehe die Straße. Wenn ich aus dem Fenster gucke, fahren Autos auf der Straße.

Ich wohne mit meiner Familie in dem Haus.

Hasan, 18, palästinensischer

Flüchtling aus Libyen

Meine Heimat Palästina:

Heimatland, das ist eine wichtige Sache. Nicht alle Menschen verstehen das.

Aber wenn jemand zu dir kommt und fragt, warum das Heimatland eine wichtige Sache ist, dann musst du eine Antwort finden.

Ich habe nie mein Land gesehen, aber ich vermisse es sehr und ich will dahin gehen.

Ich vermisse mein Land, weil ich darüber viel von meinem Vater und meiner ganzen Familie gehört habe.

Mein Vater hat mit erzählt, was er und meine Familie gemacht haben, für die Leute und das Essen und das Leben.

Und ich weiß, ich kann das nie in einem anderen Land haben.

Ich hoffe, 2020 gibt es Arbeit für alle und wir können die Naturprobleme lösen.

Wenn es für alle Arbeit gibt, gibt es keinen Krieg mehr, gibt es keinen Hunger mehr, es gibt auch keine Mafia mehr.

Ich finde die Arbeit ist wichtig, weil die Leute dann keine Langeweile mehr haben, weil die Leute dann nicht mehr auf dumme Gedanken kommen und weil sie dann ein besseres Leben haben, wie sie was geschafft haben und stolz darauf sind.

Man könnte als Ingenieur arbeiten.

Man könnte als Elektriker arbeiten.

Man könnte als Lehrer arbeiten.

Man könnte als Polizist arbeiten.

Man könnte als Arzt arbeiten.

Ich glaube, das ist die Lösung. Ich hoffe es wird immer besser in meinem Heimatland.

Hasan M. ,15, aus Syrien

In meiner Zukunft möchte ich Designer berühmter Moden auf der ganzen Welt und vor allem meiner Heimat Syrien sein, weil Praxis die Zukunft bedeutet und mein Land mich betrifft.

Ich möchte die Universität besuchen, studieren und mehr über Gestaltung wissen. Später möchte ich, dass auch mein Sohn einen Abschluss macht, denn das bedeutet Erfolg.

Deutschland ist meine zweite Heimat, die mich hier in das schönste Land bringen wird – meinen Traum. In Syrien kann ich das nicht erreichen.

Käme es zu meinem Traum, würde ich allen Menschen in Not mit Kleidung helfen.

Baraa, 13, palästinensischer

Flüchtling, in Syrien geboren

Ich lerne für meine Heimat

Und ich möchte ein Arzt werden.

Ich liebe mein Land und ich möchte meiner Heimat helfen.

Ich pflanze einen Baum. Ich muss arbeiten für meine Heimat.

Ich pflanze einen Olivenbaum.

Ich vermisse mein Land und mein Haus.

Ich wünsche mir, dass ich zurück in mein Land gehe.

Ich habe in meinem Land einen Baum neben meinem Haus stehen.

Ich habe mich in diesen Baum verliebt.

Und ich habe viele Geschichten mit diesem Baum erlebt.

Er war ganz klein. Er ist mit mir gewachsen. Ich habe ihm jeden Tag Wasser gegeben.

„Ich habe eine Heimat, aber ich bin hier in eine neue Heimat gekommen“, schreibt Emira aus dem Kosovo. Die anderen Jugendlichen stammen aus Syrien, dem Jemen und aus vielen anderen Ländern der Welt – in Deutschland laufen die Fäden zusammen Fotos: Piero Chiussi

Er ist verloren.

Ich bin in ein anderes Land gegangen und ich vermisse ihn.

Hammayoun, 16,

aus Afghanistan

Was macht man, wenn man keine Heimat hat?

Jemand hat keine Heimat, weil er ein Kind war, als sein Land einen Krieg begonnen hat.

Er ist nach Europa, nach Deutschland gegangen. Jetzt ist er 42 Jahre alt.

Und immer noch gibt es in seinem Land Krieg.

Er vermisst sein Land sehr, seine Stadt und sein Haus und seine Straße.

Für eine Minute weint er und wird traurig.

Plötzlich denkt er darüber nach, dass er dreißig Jahre in Deutschland ist. Und sein Herz fühlt, das hier auch seine Heimat ist. Seine neue Heimat.

Er sitzt vor dem Fenster und guckt tief nach draußen.

Die Straße ist still und leer.

Er bemerkt, dass eine Taube auf einen Baum fliegt.

Eine Katze schaut ihn an.

Eine halbe Stunde später und er ist nicht mehr traurig.

Und er wird leise.

Er sagt: Ich kann durch den Fernseher, die Zeitung und die Bilder meine Heimat sehen und so bin ich nicht mehr traurig.

Aleksandr, 16, aus Russland

Jeder Mensch versteht unter dem Begriff Heimat etwas Besonderes.

Unsere Heimat, das sind nicht nur Städte und Dörfer (aus einem Lied der DDR-Pionierorganisation – Anm. d. Red.).

Für mich ist Heimat ein schönes Gefühl von enger Verbundenheit mit meiner Familie und mit meinen Freunden, außerdem verstehe ich unter dem Begriff Heimat mein Haus, meinen Hof, wo ich erwachsen werde, meine Verwandten gelebt haben.

Wenn ich an meine Heimat denke, dann kommen mir lustige und traurige Ereignisse aus meinem Leben in den Sinn.

Ich erinnere mich an das Bummeln durch die Stadt, das ich mit meinem Freund gemacht habe.

Ich erinnere mich auch an den typischen Geruch von unserer Küche, wenn meine Mutter uns leckeren Kuchen gebacken hat. Alles das ist mit meiner Heimat verbunden. Es ist für mich unbezahlbar, weil ich meine Heimat sehr gerne habe.

Aber Heimat ist für alle das, woran sie sich in erster Linie erinnern, wenn man im Ausland ist.

Majd, 18, aus dem Irak

Der Fußball ist das Beste auf der Welt, und es gibt verschiedene Fußballvereine und 265 Millionen Fußballspielerinnen.

Und das Fußballspiel bewegt die Menschen, nicht nur auf dem Fußballfeld.

Aleksandr, 16, aus Russland

„Jeder Mensch versteht unter dem Begriff Heimat etwas Besonderes. Ich erinnere mich an den typischen Geruch von unserer Küche, wenn meine Mutter uns leckeren Kuchen gebacken hat“

Der Fußball ist in jeder Heimat wichtig. Überall spielen die Menschen. Fußball ist eine Heimat für die Menschen.

Reem, 16, palästinensischer

Flüchtling, in Syrien geboren

Meine Heimat ist schön, aber alle Häuser sind kaputt und es gibt viele Schläge.

Ich möchte Frisörin werden und Gesichter schminken, Haare schneiden, färben, Locken drehen und Kopftücher binden. So wird die Welt schöner. Ich will Frisörin werden.

Pamela, 13, aus Albanien

Ich bin Pamela. Ich bin seit sieben Monaten in Deutschland.

Ich war nie in der Schule in meinem Land zum Deutschlernen.

Ich habe hier eine Schule in Deutschland, sie ist sehr gut.

Ich werde in Deutschland mehr lernen.

Ich will mehr lernen in Deutschland und ich will einen Schulabschluss haben. Danach werde ich eine Ausbildung machen.

Emira, 14, aus dem Kosovo

Heimat in Zukunft:

2020 will ich in meiner Heimat ein gutes Leben haben und niemals Flüchtling werden.

Alle Menschen können arbeiten und ein gutes Leben führen mit ihren Kindern. 2020 will ich keine Kinder mehr sehen, die weinen. Ich will keine Tränen in ihren Augen sehen. Ich will die Kinder lächeln sehen.

Ich will, dass alle Kinder in der Welt ein gutes Leben haben, nicht nur in meiner Heimat, sondern in der ganzen Welt.

Ich will hier in Deutschland leben, wohnen, lernen. Das, was ich geschrieben habe, ist nur eine Fantasie. Es kann niemals passieren. Aber in Deutschland kann man gut leben und dafür bin ich nun hier.

Und ich will keine Kriege in der Welt mehr haben.

Textauswahl: Nadim Chahrour, 21 Jahre, taz-Praktikant, gebürtiger Berliner mit palästinensisch-türkischen Wurzeln.