Der Schock von Köln

Kriminalität der männermasse Diebstahl, sexuelle Übergriffe und Migranten: Das versetzt Medien und Politik in den Hyperdrive. Wem nützt es?

Sexismus ist Alltag in Deutschland, mit und ohne Migranten Foto: dpa

Überall auf der Welt

betr.: „Silvesterattacken: Der Aufschrei“, taz vom 6. 1. 16

Sexuelle Belästigungen bis hin zur Vergewaltigung in der Silvesternacht am Kölner Bahnhof? Das ist abscheulich und muss bestraft werden! Es sollen viele „nordafrikanisch“ aussehende Männer daran beteiligt gewesen sein? Mag sein. Die Anwesenheit einiger, fremde Sprachen sprechender Männer ist natürlich ein gefundenes Fressen für alle, die sowieso empfindlich auf die Aufnahme von Flüchtlingen reagieren und Angst vor dem Fremden haben. Die politische Instrumentalisierung ist da ein leichtes Spiel.

Diese vielen „nordafrikanisch“ aussehenden Männer schließen allerdings noch lange nicht die Beteiligung und Mittäterschaft von sonst so „anständigen, ach so moralischen, stets die Frauen respektierenden“ hellhäutigen deutschen oder nordeuropäischen Männern aus! Tun wir nicht so, als wäre der „weiße, aus dem Norden stammende“ Mann harmlos.

Sexuell belästigt und vergewaltigt werden Frauen überall auf der Welt, auch kollektiv! Hier seien nur ein paar Beispiele kurz erwähnt:

Amerikanische GIs haben während des Vietnamkrieges bataillonsweise Vietnamesinnen bis zum Verbluten vergewaltigt.

Amerikaner (also die Männer, die im kollektiven Gedächtnis als die „Befreier“ verankert sind) haben auch nach 1945 noch unzählige deutsche Frauen belästigt und zu sexuellen Handlungen gezwungen (zwecks Austauschs von Waren).

Im Zweiten Weltkrieg haben Russen sich an deutschen Frauen vergangen. Die deutsche Wehrmacht tat desgleichen mit russischen Frauen, Japan mit koreanischen, chinesischen und taiwanischen Frauen.

Die Briten in Indien, Franzosen in ihren afrikanischen Kolonien …

Ereignisse jüngeren Datums: Blauhelmsoldaten vergewaltigen massenhaft Afrikanerinnen im Kongo!

Sexuelle Belästigung und Vergewaltigung ist immer Ausdruck von Demütigung und Erniedrigung innerhalb eines Machtgefüges.

Innerhalb eines patriarchalischen Machtgefüges! Egal ob die Hautfarbe dunkel oder hell ist.

Béatrice bourgeois , Berlin

Irreführend

betr.: „Neue Dimension der Empörung“, taz.de vom 5. 1. 16

Sexuelle Übergriffe und Straßenräubereien sind völlig inakzeptabel. Da dürften sich wohl alle sehr schnell einig sein. Übrigens sieht man das auch keineswegs nur in Deutschland so. Was Daniel Bax zu Recht kritisiert, ist der mediale Umgang damit. Da werden Zusammenhänge hergestellt, die komplett in die Irre führen. Auch die Kölner Polizei spricht nirgends davon, dass sich 1.000 Araber/Nordafrikaner dort zur kollektiven Begehung von Straftaten eingefunden hätten.

Es gibt kriminelle Kleinbanden, die sich auf Straßenraub spezialisiert haben und bevorzugt in größeren Menschenansammlungen aktiv werden.

Diese Banden nutzen dabei ganz gezielt die Konfusion, die durch gezielte sexuelle Übergriffe in einer Menschenmenge ausgelöst wird. Das ist polizeiliches Tagesgeschäft an allen größeren Bahnhöfen und hat herzlich wenig damit zu tun, ob da jetzt in der Mehrzahl Bayern, Sachsen, Inder, Araber, Türken, Franzosen, Spanier oder Deutsche im Bahnhof rumlaufen. Dann müsste man in Zukunft auch Schlagzeilen hinnehmen wie: „Eine Horde aus mehreren Tausend deutschen Männern versammelte sich zum wiederholten Male im Oktober auf der Münchner Wiesn, um zahlreiche Diebstähle und sexuelle Übergriffe zu begehen.“ rainer b., taz.de

Gilt Nein als Nein?

betr.: „Ein Täter ist ein Täter ist ein Täter“, taz vom 6. 1. 16

Interessant besonders für Frauen sind die Fragen, die bleiben, wenn die Wellen in den Medien und Foren nicht mehr so hochschlagen.

Gilt mein Nein als Nein, auch wenn ich dabei keinen Kopfstand mache und in die Hände klatsche?

Gilt meine Angst als Angst, auch wenn ich nicht schreie und mich wehre? Gelte ich als Mensch oder bin ich zur Verfügung stehendes Eigentum?

hildegard meier , Köln

Heruntergespielt

betr.: „Ein Täter ist ein Täter ist ein Täter“, taz vom 6. 1. 16

1. Warum muss ausgerechnet die taz dem Müll der AfD oder anderer Leute aus deren Umfeld zu den Vorgängen in Köln ein Forum geben, indem man sich in Kommentaren darüber aufregt? Vergeudete Energie! 2. Die Autorin spielt die sexuellen Übergriffe auf Frauen in Köln, die es in dieser Form und in dieser Dimension bisher in Deutschland noch nicht gegeben hat, herunter, wenn sie herausstreicht, dass sexuelle Gewalt überall verbreitet ist. Dass sie hierbei das Verhalten von Männern bei „öffentlichen Silvesterveranstaltungen“ in Deutschland mit den Zuständen auf dem Tahrirplatz in Kairo und bei den Geziprotesten in Istanbul gleichgesetzt, macht mich einigermaßen fassungslos.

3. Gerade wegen der bisherigen Singularität der Vorfälle in Köln und Hamburg ist es eben nicht egal, woher die Täter kommen. Hartmut Graf, Hamburg

Männer, Alkohol

betr.: „Neue Dimension der Empörung“, taz.de vom 5. 1. 16

„Männer, Gruppe, Alkohol, Fest“: das löst bei mir sehr unangenehme Erinnerungen und Assoziationen aus. Die Aufzählung war in meiner Jugend (ländliche BRD, 70er Jahre, Biodeutsche unter fast ausschließlich Biodeutschen) gleichbedeutend mit sexuellen Attacken.

Das hat sich dann im Laufe der Zeit gewandelt. Auch diese meine ehemalige „Heimat“ ist jetzt zivilisiert.

Relikte dieser Kultur der Übergriffigkeit, die von manchen – längst nicht allen! – jüngeren und älteren Männern praktiziert wurde, sind im Zusammenhang mit den organisierten Übergriffen zu Silvester genannt worden, darunter das Oktoberfest. Der Karneval gehört meines Wissens auch dazu. Mädchen und Frauen, die nicht angemacht werden wollen, nehmen da gar nicht erst teil.

Angelika Oetken, taz.de

Wo war die Polizei?

betr.: „Silvesterschock in Köln“, taz vom 5. 1. 16

Ich will in einer Stadt leben, in der sich Frauen sicher fühlen und bewegen können, egal ob sie als Oberbürgermeisterin kandidieren oder nachts durch den Hauptbahnhof gehen. Es ist nicht tolerabel, was in Köln gerade passiert.

Eine Frage stelle ich mir jedoch: Wo war die Polizei in der Silvesternacht? Wir sprechen hier über einen zentralen stark frequentierten Ort (Hauptbahnhof) in Zeiten der Terrorangst. Auf der Domplatte waren „1.000 bis 1.500 Personen, stark alkoholisiert und enthemmt“ – so die Polizeigewerkschaft. Es gibt mehr als 100 Anzeigen von Opfern. Wie kann es sein, dass die Polizei bisher kaum Täter identifizieren konnte? Dass erst Videoaufnahmen ausgewertet werden müssen, weil kein Polizist vor Ort war, der irgendwas gesehen hat?

Einige Opfer berichten, dass Polizisten zwar am Hauptbahnhof waren, jedoch nichts gegen die Täter unternommen haben. Warum?

Davide Brocchi, Köln

Keine Gerechtigkeit für „Trostfrauen“

betr.: „Japan: Späte Gerechtigkeit“, taz vom 28. 12. 15

Es ist sehr positiv, dass die nicht oder unzureichend aufgearbeitete Geschichte Japans im Zweiten Weltkrieg thematisiert wird. Bei all dem Verständnis für die konfuzianisch geprägten Gesellschaften in Japan und Korea darf nicht vergessen werden, worum es bei dem Thema „Trostfrauen“ geht: Seit 25 Jahren demonstrieren jeden Mittwoch vor der japanischen Botschaft in Seoul ehemalige „Trostfrauen“ dafür, dass sich Japan bei ihnen für den vom japanischen Militär organisierten und vom japanischen Kaiser beauftragten Frauen- und Mädchenhandel entschuldigt – und zwar offiziell und aufrichtig. Wenn die japanische Regierung einen nicht aus Regierungsgeld gespeisten privaten Fonds initiiert, bedeutet das, dass es kein offizielles Eingeständnis des Kriegsverbrechens und des Verbrechens gegen die Menschlichkeit gibt.

Solch einen Fonds hat es bereits bis vor wenigen Jahren gegeben, aus dem die protestierenden alten Frauen keinen Yen nehmen wollten. Weil es ihnen um eine ernstgemeinte Entschuldigung ohne Wenn und Aber geht. Stattdessen stellt die japanische Regierung unter Führung von Shinzo Abe, dem Enkel eines Kriegsverbrechers, Bedingungen wie „das sei das letzte Zugeständnis“ und das Mahnmal zur Erinnerung an die Gräuel in Seoul solle entfernt werden.

Die Darstellung, dass die Wiederauflage des Geldfonds ein Erfolg für die Betroffenen sei, ist eine kritiklose Übernahme der Regierungsdarstellung. Dass die koreanische Regierung den japanischen Forderungen entgegenkommt, ohne je zuvor mit den letzten überlebenden Betroffenen in Dialog zu treten, kann nur dadurch erklärt werden, dass die Präsidentin als Tochter des Militärdiktators Park Chung-hee noch in der Tradition der Kollaboration ihrer Familie mit Japan steht. Zu der Darstellungsweise, dass die Wiederauflage des Geldfonds ein Erfolg für die Betroffenen sei, findet sich eine Gegendarstellung auf der Seite des Korean Council for the Women Drafted for Military Sexual Slavery by Japan, das sich seit 1991 für die Interessen der betroffenen ehemaligen „Trostfrauen“ einsetzt. Askold Hitzler, Berlin

Warnung vor dem schwarzen Mann

betr.: „Spießrutenlauf durch Männermassen“, taz vom 8. 1. 16

Seit Jahren kämpfen Opfer- und Frauenverbände um mehr Anerkennung für Opfer, finanzielle Unterstützung beziehungsweise Entschädigungen für Überlebende und eine Gesetzesänderung („Nein heißt Nein“).

Jetzt also die Übergriffe in Köln. Aber was für ein Glück für Politik, Polizei und den rechten Mob, dass es vermutlich Ausländer waren! Jetzt wird also mit härtesten Konsequenzen gedroht und jeder darf seine geistreichen (Hass-)Kommentare raushauen. Unterstützt von Politikerinnen wie Erika Steinbach und Frauke Petry und dem Oberbürgermeister Boris Palmer. Dieser nutzt die Vorfälle schamlos aus, um auf seiner Facebookseite erneut eine Debatte über Flüchtlinge und Asylbewerber zu starten.

Ja, alle haben sie uns gewarnt vor dem bösen schwarzen Mann – deutsche Männer machen so was nicht, die kennen ja unsere „Werte“. Dass ich nicht lache! Aus dem Blick geraten sind – zum größten Teil – mal wieder die Opfer. Tipps, wie Männer auf Armlänge fernzuhalten, machen die Runde, prima, danke dafür!

Ich bin es so leid, ich hab es so satt. Immer erst ein Aufschrei, wenn solche schrecklichen Ereignisse wie in Köln passieren – sonst Ignoranz und Schweigen. Im Jahr 2014 wurden über 14.000 Kinder in Deutschland sexuell missbraucht – die Dunkelziffer ist vermutlich viel höher …haben Sie nicht mitbekommen? Ja, interessiert auch kaum jemanden – nur die Überlebenden, die mit all ihrem Leid oftmals allein zurückbleiben. Und wer um seine Rechte kämpft und nicht schweigt, erntet Häme, Unglauben und Spott. #wobleibtderaufschrei? MELANIE KÜHBAUCH, Tübingen