LeserInnenbriefe
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Privatisierung der Altersvorsorge

betr.: „Die Rente armutsfest machen“, Interview mit Gert G. Wagner, taz vom 30. 12. 15

Um die Altersrente armutsfest zu machen, müsste man die seinerzeit mit Unterstützung des Regierungsberaters Gert G. Wagner im Rahmen der Agenda 2010 in die Rentenanpassungsformel eingebauten „Dämpfungs-“, genauer: Kürzungsfaktoren (Riester-, Nachhaltigkeits- und Nachholfaktor) wieder daraus entfernen. Auch die von Wagner befürwortete Teilprivatisierung der Altersvorsorge sollte baldmöglichst rückabgewickelt werden.

Obwohl das Riester-Desaster längst offenkundig ist, möchte Wagner das Geschäft von Banken, Versicherungskonzernen und Finanzdienstleistern ankurbeln: Diese würden neue Kunden gewinnen und noch mehr Profite und Provisionen einstreichen, die Steuerzahler/innen aber zusätzlich belastet, wenn man Riester- und Betriebsrenten nicht mehr auf die Grundsicherung im Alter anrechnet und damit gegenüber anderen Einkommensarten privilegiert. Statt die Zuwanderer als demografische Lückenbüßer zu empfehlen und Normalverdiener/innen weiter auf das „Riestern“ zu orientieren, wie Wagner es in dem Interview tut, sollte die gesetzliche Rentenversicherung gestärkt werden, weil sie umlagefinanziert und nicht von den Kapitalmärkten abhängig ist. Christoph Butterwegge, Köln

Rollis aufs Karussel

betr.: „Nächstes Mal gemischt feiern“, taz vom 31. 12. 15

Als Mitglied des Behindertenbeirats (Vertreter von psychisch Erkrankten) der Stadt Kempten im Allgäu lese ich jedes Mal den „Specht der Woche“ sehr interessiert und schaue nach Anregungen. Zum Thema „Barrierefreier Weihnachtsmarkt“: Wir hatten als Behindertenbeirat zusammen mit Vertretern der Stadt (Ordnungsamt, Bauamt, Stadtentwicklungsamt) eine Begehung unseres Weihnachtsmarktes zu genau diesem Thema.

An 2 Imbisständen Sofortreaktion innerhalb von 5 Minuten: niedrigere Tische für Rollis. Überlegung für 2016: selbstklebende Streifen mit Noppen für Blinde und schwer Sehbehinderte als Orientierungshilfe. Direkt neben dem Weihnachtsmarkt (Rathausplatz) gibt es eine Behindertentoilette, allerdings auf dem Markt keinerlei Hinweis darauf. 2016 wird eine Infotafel aufgestellt. Die Rollstuhlfahrer diskutierten scherzhaft mit dem Betreiber des Kinderkarussels, Pferde aushängen, Rollstühle einhängen. Wir wurden von der Stadt noch mit einem gespendeten Glühwein belohnt. Wolfgang Blumtritt, Kempten

Der permanente Notstand

betr.: „Gefahrengebiet: Sabotagepils und Schikanen“, taz vom 28. 12. 15

Seit 2014 ist es gängige Praxis, in Deutschlands Großstädten temporäre „Gefahrengebiete“ einzurichten. In diesen „Gefahrengebieten“ wird die Polizei mit Machtbefugnissen ausgestattet, die die Grundrechte – wenn auch nur für kurze Zeit – aussetzen und den Bürger auf unbestimmte Zeit in ein juristisches Niemandsland verweisen. Können wir diesen Zustand „Ausnahmezustand“ nennen? Giorgio Agamben (politischer Philosoph, Italien) definiert dieses polizeirechtliche Handeln wie folgt: „Wenn Ausnahmevorkehrungen tatsächlich und auf dem Gebiet der Politik und nicht auf juristischem und verfassungsmäßigem Boden …begriffen werden, dann …zeigt sich der Ausnahmezustand als die legale Form dessen, was keine legale Form annehmen kann.“ Oder: „Der Ausnahmezustand ist kein Sonderrecht (wie das Kriegsrecht), sondern er bestimmt, indem er die Rechtsordnung suspendiert, deren Schwelle oder Grenzbegriff.“

Wenn eine Regierung das Recht durch Polizeimaßnahmen ersetzt und diese zum herrschenden Paradigma des politischen Handelns werden lässt, verwandelt sich dann nicht eine Demokratie schleichend in einen absolutistischen Staat? An dieser „Schwelle zwischen Demokratie und Absolutismus“ stehen Menschen und westliche Demokratien weltweit. Weitere undemokratische Methoden sind: Aufweichung des Folterverbots durch Umdeutung in erweiterte Verhörmethoden, Verlängerung der vorläufigen U-Haft, ständige Erweiterung der „Gefährderdateien“, Aufweichung der strikten Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten, Sondergerichte für Terroristen. All diese Maßnahmen werden begründet mit einem nicht erklärten „Ausnahmezustand“, der in der Rechtsordnung nicht zu finden ist.

Wenn es so ist, dass Regierungen einen permanenten Notstand einrichten wollen und damit die Demokratie aushöhlen, wo bleibt da Kontrolle und Widerstand? Wo ist das Parlament, wo ist die außerparlamentarische Opposition? Jana Ahrens, Bremen

Ökologischer Zugfahren

betr.: „Vom kultivieren Zugfahren“, taz vom 30. 12. 15

Ökologischeres Zugfahren von Stuttgart Hbf. nach Berlin Hbf. dauert mit Locomore nicht eineinhalb Stunden länger als mit ICE. Locomore braucht für die Strecke 6h:25min; ein „normaler“ ICE kommt mit 5h:35min nur 50 Minuten früher an. Dafür werden durch Locomore auch Vaihingen/Enz, Heidelberg und Darmstadt direkt an Berlin angeschlossen. Für diese Orte ist der Zeitgewinn noch höher. Ein Vergleich mit dem ICE-Sprinter verbietet sich ohnehin. Auch das Crowdfunding ist erfolgreicher als dargestellt: am 27. 12. 2015 hatte das Unternehmen nicht erst 280.000 Euro, sondern bereits 338.000 Euro von angestrebten 460.000 Euro auf der Webseite ausgewiesen. Ernst Delle, Schorndorf