Die nicht auf den Prinzen warteten

GENDER Der Kampf um den Beruf der Lehrerin war der Schlüssel zur Emanzipation im 19. Jahrhundert. Zu diesem Befund kommt ein Buch von Luise Berg-Ehlers

Das LehrerInnenkollegium der Höheren Töchter Schule Lüneburg – inklusive neugieriger Schülerinnen in den Fenstern Foto: Museum Stift Keppelt

von Barbara Dribbusch

„Man lehre die Mädchen nicht soviel, man nimmt ihnen, wenn man sie zu sehr bildet und unterrichtet, einen wahren Vorzug […] wie liebenswürdig ist ihre Unwissenheit […] wie viel tägliches Vergnügen raubt man dem Manne, wenn man Mädchen zu gelehrt macht.“

Das schrieb der Politiker Philipp von Nathusius im Jahre 1871 und das Zitat ist vor allem deshalb bekannt, weil die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Hedwig Dohm ein Jahr später scharf dagegen hielt, indem sie erklärte: „Nur der Sklave ist um des Andern willen da. Und worin besteht nun das Vergnügen? Etwa im Gefühl der Überlegenheit? Zum Teufel mit dieser läppischen Eitelkeit!“

Liebevolles Denkmal gesetzt

Der Streit um den Wert der weiblichen Bildung war immer auch ein Streit um die weiblichen Rollen. „Der Kampf für Bildung und für das Recht der Frauen, Lehrerin zu werden und damit die Mädchenbildung und die weibliche Unabhängigkeit zu befördern, war das Konstituens der Frauenbewegung im vorletzten Jahrhundert“, schreibt die Autorin Luise Berg-Ehlers in ihrem Buch über die „unbeugsamen Lehrerinnen“. Sie setzt diesen Frauen in ihrer Sammlung aus Kurzbiografien ein liebevolles Denkmal. Denn auch wenn die Lehrerinnen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts mit ihren Duttfrisuren und hochgeschlossenen Blusen heute auf den ersten Rückblick streng und sittsam wirken, so waren sie in Wirklichkeit Vorkämpferinnen in einer männlich geprägten Welt, die sie nicht ausreichend wertschätzte.

Heiratsverbot

Lehrerinnen mussten damals unverheiratet sein und bleiben, um ihrem Beruf nachgehen zu dürfen. Noch bis zu Beginn der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts mussten Frauen auf die Ehe verzichten, wollten sie im Lehramt tätig bleiben. Im Deutschen Reich war das „Lehrerinnenzölibat“ 1880 per Ministerial­erlass eingeführt worden und noch 1892 hieß es: „Heirat bedingt in der Regel Ausscheiden aus dem Lehrerinnenberuf.“ Das Heiratsverbot ist vielleicht mit ein Grund, warum sich das asexuelle Bild der „strengen Lehrerin“ so lange hielt. Wobei man nicht sagen kann, ob das Zölibat nichteheliche heimliche Beziehungen nicht vielleicht sogar förderte.

Gründe für das Zölibat lagen einmal in der Furcht vor allzu viel weiblicher Konkurrenz in der Pädagogik, aber auch darin, dass man den Frauen die „Überbürdung“, wie es damals hieß, durch eine Doppelrolle als Lehrerin und Mutter nicht zutraute. Doch das war reine Ideologie, die man bei Bedarf auch wieder über Bord warf: Nach dem Ersten Weltkrieg wurden pädagogische Bildungsgänge für Kriegswitwen eingerichtet, um diesen einen Brotberuf als Lehrerin zu ermöglichen und den Männermangel in der Pädagogik auszugleichen.

Lehrerin zu werden, war für die Frauen aus bürgerlichen Schichten eine der wenigen Möglichkeiten, den eigenen Lebensunterhalt zu sichern und der Unfreiheit der Ehe zu entfliehen. Das erste staatliche Lehrerinnenseminar wurde 1814 in Bayern gegründet, andere folgten. Mit dem Examen, das etwa seit Mitte des 19.Jahrhunderts möglich war, konnten die Absolventinnen aber nur an Elementar- oder Privatschulen unterrichten.

Typisch für die damaligen Bildungsbarrieren ist die Biografie von Hedwig Dohm, geboren 1831. Sie entstammte einer Familie mit 18 Kindern, von denen aber nur die Knaben ein Gymnasium besuchen durften. Die junge Hedwig musste im Alter von 15 Jahren die Schule verlassen und im Haushalt helfen – die Wut über diese Benachteiligung war eine wichtige Triebfeder für ihre spätere publizistische Arbeit. Das alte männliche Vorurteil, Frauen seien „zu emotional“ für wissenschaftliche Bildung und Arbeit, entkräftete sie schon vor 140 Jahren, indem sie ironisch schrieb: „Frau B. hat eine Professur der Geschichte inne. Sie soll von den Gräueltaten der römischen Kaiserzeit berichten. Da erstickt der Schmerz um die Ermordeten ihre Stimme, der Abscheu raubt ihr den Atem, sie verliert den Faden der Gedanken und muss ohnmächtig hinausgetragen werden.“

Mit den Lehrerinnen kam die Mädchenbildung. 1908 wurden in Preußen die „allgemeinen Frauenschulen“ gegründet, 1911 folgten die Oberlyzeen. Am Beispiel des Lyzeums in Lüneburg schildert Berg-Ehlers, wie den Schülerinnen von wohlmeinenden Lehrerinnen schon in früheren Jahren die höhere Berufsbildung ans Herz gelegt wurde, erst recht angesichts des Krieges. Eine Mathematiklehrerin riet 1914 zur Berufstätigkeit, „man solle nicht daheim sitzen und auf einen ‚Prinzen‘ warten“. Das gilt noch heute.

Luise Berg-Ehlers: „Unbeugsame Lehrerinnen. Elisabeth-Sandmann-Verlag, München 2015, 184 Seiten